Russen kommen
schnell ein? Wir hätten … Aber da nimmt sie schon die Speicherkarte aus ihrer Kamera und drückt sie Hofmann in die Hand.
»Damit Sie sehen, dass wir natürlich mit den Behörden zusammenarbeiten«, ergänze ich. Jetzt ist es ohnehin zu spät. Aber ich ärgere mich.
Wir werden gebeten, für weitere Einvernahmen zur Verfügung zu stehen, die arme Putzfrau muss noch bleiben. Zum Glück hat sie mir versichert, dass sie »legal, ganz legal« in Österreich sei. Ich habe ihr für alle Fälle meine Visitenkarte in die Hand gedrückt.
Wortlos gehen wir zum Lift, steigen ein, die Tür schließt sich. Dicht nebeneinander stehend fahren wir nach unten, und an jedem von uns scheint etwas von dem abscheulichen Gestank Dolochows zu haften.
»Ich hab eine Kopie der Aufnahmen«, sagt Gerda, als wir den zweiten Stock passieren. »Es gibt da so ein kleines Gerät, mit dem lade ich immer alles auf einen zusätzlichen mobilen Speicher.«
Ich grinse.
Der Chefredakteur meint: »Wir können die Bilder nicht bringen.«
»Keine vom Toten«, beruhige ich ihn. Wofür hält er uns eigentlich?
Ich habe mir einige Male die Hände gewaschen, und obwohl ich Dolochow nicht berührt habe, fühle ich mich noch immer schmutzig, stinkend, verseucht. Ich sitze am Redaktionscomputer und sehe mir noch mehr Material über Dolochow an. Die Polizei wird das Gleiche tun. Sie wird sich nicht nur auf das beschränken, was über ihn im Internet zu lesen ist. Der Fall wird weite Kreise ziehen, da bin ich mit Hofmann einer Meinung. Sie werden versuchen, alles geheim zu halten. Aber es gibt immer irgendjemanden, der redet, der irgendeinen guten Freund in einer Redaktion verständigt oder der am Abend nach dem dritten Bier den Mund nicht mehr halten kann. Die Frage ist nur: Wird es bis zur nächsten Ausgabe des »Magazins« dauern? Und: Wird es mir gelingen, bis dahin mehr über Dolochow und seine Feinde herauszufinden? Gerda hat das Fotomaterial auf meinen Computer überspielt. Noch bringe ich es nicht fertig, mir die Bilder anzusehen.
Ein Mann wie Dolochow hatte sicher Feinde. Vorläufig gibt es für mich einen einzigen Anhaltspunkt: die Flucht am Arlberg. Ich sollte sie nicht überbewerten, es kann wirklich sein, dass er bloß nicht erkannt werden wollte. Aber warum? Um welche Geschäfte ging es? Der Hotelier Guggenbauer hat getan, als wüsste er etwas darüber. Vielleicht würde er sich sogar mit Dolochow treffen, hat er gemeint. Er war nicht mehr ganz nüchtern. Wie viel Fantasie war da dabei? Wie viel Angeberei? Und: Ich muss mit Sorger reden. Ich hätte ihn gleich am Arlberg fragen sollen, ob er Dolochow kennt. Aber Sorger ist harmlos. Er ist Geschäftsmann und er ist Partylöwe. Das ist kein Killer – zumindest sieht er nicht so aus.
Ich rufe beim Bauunternehmen Sorger an. Warteschleife, scheußliche fröhliche Kaufhausmusik, unterlegt mit Gehämmer und dem unentwegt wiederholten Slogan: »Sorger-Bau: Wir sorgen uns um Ihren Bau!« Es dauert, bis jemand drangeht, und ich erfahre, dass Herr Sorger nicht zu sprechen sei. »Mira Valensky vom ›Magazin‹«, sage ich und denke mir, »der Typ ist doch so scharf drauf, in den Medien zu sein, ›vom Magazin‹«, wiederhole ich.
»Er ist unterwegs. Ich gebe ihm Ihre Nummer, er wird Sie zurückrufen«, verspricht seine Sekretärin.
»Hat er keine Mobilnummer?«, frage ich.
»Da geht er nicht dran, wenn es nicht gerade der russische Präsident ist«, sie kichert über ihren Scherz. – Warum ausgerechnet der »russische Präsident«? Schon wieder der russische Präsident. Was, wenn die beiden toten Russen von der Brünner Straße doch mit Dolochow zu tun hatten? Geschäftsfreunde. Oder Geschäftsfeinde. Ein Mord mithilfe eines Rehs. Lässt sich doch sicher inszenieren. Wer weiß, ob mir dieser Polizist die Wahrheit gesagt hat? Man hat ihn gekauft. Man hat alle gekauft. Stopp. Der Polizist ist Evas Cousin. Sie hält ihn für vertrauenswürdig. Die beiden auf der Brünner Straße hatten Pech. Und ich weiß inzwischen, dass der reiche Russe zwar reich, aber keinesfalls ein Oligarch war.
Wahrscheinlich ist Sorger noch am Arlberg. Ich muss hin. Sofort. Ich muss auch mit dem Hotelier vom »Sonnenhof« reden. Ob es heute noch einen Flug gibt? Es gibt einen Abendzug, das weiß ich. Vielleicht erreiche ich ihn noch. Ich gehe im Internet auf die Seite der ÖBB . Verbindung nach Vorarlberg, ich tippe die Daten ein.
Mein Telefon läutet. Ich schrecke hoch, das ging aber schnell. »Ja?«, sage ich
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