Russen kommen
er in einer Toreinfahrt. Ich gehe ihm eilig nach, bleibe dann stehen. Ein großer Innenhof. Voll mit Autos. Einige Menschen. Hohe dunkle Gründerzeit-Fassaden. Er steht am anderen Ende des Hofes. Wenn ich an der Hausmauer entlanggehe, kann ich ihm näher kommen, ich könnte so tun, als wollte ich zu einem der hinteren Hauseingänge. Oder zum nächsten Hof, sieht so aus, als wäre da noch ein zweiter Hof. Ein Mann löst sich aus dem Schatten eines Autos, geht rasch auf Welser zu, er packt ihn am Arm, ich zwinkere, ich sehe einfach zu schlecht, oder hat er ihm bloß die Hand gegeben? Ich starre hinüber, gehe langsam weiter, in Richtung der beiden Männer. Sie haben mich noch nicht wahrgenommen. Wer ist dieser zweite Mann?
Plötzlich ein heller Schmerz am Oberarm, von hinten reißt mir jemand meine Tasche weg, ich fahre herum, will schreien, bringe keinen Ton heraus, eine schwarze Silhouette zwischen den parkenden Autos. Verschwunden. Ich starre zurück zu Welser und dem zweiten Mann. Weg. Ich renne durch den Hof, dem Taschenräuber hinterher, niemand scheint etwas bemerkt zu haben. Herrengasse. Der übliche Betrieb. Hasten und Schlendern. Und niemand mit meiner Tasche. Eine Frau starrt mich an, dann schreit sie auf. Ich sehe langsam zu meinem Oberarm. Blut, viel Blut. Ich habe den Stich bis jetzt gar nicht bemerkt. Oder doch. Der Schmerz. Er war nicht wichtig. Ich versuche, die blutende Wunde mit der linken Hand zu bedecken.
»Es ist nichts«, sage ich so beruhigend wie möglich zu der Frau, »gehen Sie weiter.«
»Soll ich die Rettung rufen?«, erwidert die Frau.
Ich schüttle bloß den Kopf und eile weiter, weiß nicht, wohin. Ich habe Welser und den zweiten Mann verloren, ich habe meine Handtasche verloren. Man hat mich verletzt. Meine linke Hand ist feucht, nass. Blut. Ich blute zu stark, mir wird schwindlig. Dort drüben ist eine Apotheke. Tief durchatmen, Mira, du hast einen guten Blutdruck, ein gesundes Herz. Sie sollen mich verbinden. – Und dann? Das wird man sehen.
In der Apotheke sind viele Menschen. Ich presse weiter meine Hand auf die Wunde und stelle mich an.
»Was ist mit Ihnen los?«, ruft eine Apothekerin.
Zehn Minuten später bin ich fürs Erste verbunden, man hat mich auf den Stuhl neben dem Blutdruck-Messgerät gesetzt, und ich warte auf den Arzt. Am Rande des Verkaufsraumes. Als blutige Attraktion für alle, die sich Magenpulver oder Gichtmittel holen.
Meine Handtasche. Die, die ich immer mit mir trage, schon seit einigen Jahren. Gutes Leder, das gebraucht immer schöner wird. Mit Geldbörse, Pass, Journalistenausweis, meinem Lieblingstuch aus Kaschmir, kein Gewicht und wärmt im Bedarfsfall enorm. Kann es sein, dass ich wirklich Handtaschenräubern zum Opfer gefallen bin? Oder hat das Ganze mit dem Russen-Fall zu tun? Denke an den ach so gefährlichen Hubschrauber, Mira. An den ach so gefährlichen Mann, der die Treppen heraufkam und dann doch zu deiner Nachbarin abgebogen ist. Du steigerst dich in etwas hinein. Ich werde zum nächsten Polizeirevier gehen und den Raub melden. Muss ich, schon wegen der Versicherung. Sperren der Kreditkarten. Du liebe Güte, das habe ich gerade jetzt nötig gehabt. Bargeld hatte ich nicht viel dabei, tröste ich mich. Wenigstens das.
Der Arzt ist ein junger Mann, er scheint mir viel zu jung, um schon mit dem Studium fertig zu sein.
»Wo ist Dr. Kaunschlag?«, fragt dann auch die Apothekerin.
»Ich arbeite bei ihm«, erwidert der junge Mann.
»Als was?«, will ich fragen, aber schön langsam tut die Wunde ziemlich weh und der Verband ist auch schon durchgeblutet. Mir ist jeder recht, der etwas daran ändern kann.
»Haben Sie keinen anderen Platz für sie?«, fragt der junge Mann und sieht sich im Verkaufsraum um. Den Kunden tut es sichtlich leid, dass ich, von ihm und der Apothekerin geleitet, in die hinteren Räume geführt werde. Dort setzt er mich auf einen Stuhl an einem weißen Tisch. Trinkt hier die Belegschaft Kaffee? Werden hier irgendwelche Pulver und Salben gemischt? Jedenfalls wirkt alles keimfrei.
»Ist Ihnen schwindlig?«, fragt er.
»Sind Sie Arzt?«, frage ich, ich kann nicht anders.
»Natürlich.« Er gibt der Apothekerin einige rasche Anweisungen und nimmt dann den blutgetränkten Verband ab. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich genäht. Er scheint es ganz gut zu können, und ich spüre auch nichts, er hat mir zuerst eine lokale Betäubung verpasst.
Kann es sein, dass Welser gemerkt hat, dass ich ihn verfolgt habe, und mir den
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