Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
Vom Netzwerk:
Messerstecher geschickt hat? Unsinn, er ist ein biederer Professor für Rechtsgeschichte. Wo sollte der so schnell einen Messerstecher auftreiben? Und er hat sich kein einziges Mal umgedreht. Was, wenn noch jemand hinter Welser her war, der mich gesehen hat, der mich kannte, und …
    »Sechs Stiche«, sagt der junge Arzt, viel älter als fünfundzwanzig kann er nicht sein. »Aber die Wunde ist nicht tief. Ich lasse Ihnen ein Mittel zur Desinfektion mitgeben und ein Schmerzmittel, für alle Fälle. – Wie ist Ihnen das denn passiert?«
    Ich erzähle, ich hätte mir einen Innenhof ansehen wollen, und plötzlich spürte ich einen Stich und weg war die Tasche.
    Er schüttelt den Kopf. »Und das mitten in Wien …«
    Ich muss in den Innenhof zurück. Der zweite Mann ist hinter einem Auto hervorgekommen, es war ein dunkelblauer Wagen, vielleicht war es seiner. Vielleicht steht er noch da. Ich trabe die Gasse zurück, etwas benommen. Diesmal sehe ich mich vorsichtig um, ehe ich den Innenhof betrete. Graue Wände, kleine Fenster. Viele Fenster. Die Fassade zur Herrengasse hin ist prächtig, bei dem, was dahinter liegt, hat man auf jeden Schmuck verzichtet. Zwei Frauen, ihr Lachen hallt wider. » … und da esse ich jetzt also nur diesen Magerjoghurt und Gurken, und Manfred sagt zu mir …«
    Das Auto ist noch da. Ein blauer Ford. Ich will mir das Kennzeichen aufschreiben und begreife, dass ich nichts zum Schreiben habe. Alles in der Tasche. Ich krame in den Hosentaschen, nichts. In der Jacke. Ein Bleistiftstummel von Ikea. Ich notiere mir die Autonummer auf der Verpackung des Schmerzmittels. Ich gehe vom ersten in den zweiten Hof. Er führt durch ein Tor wieder in eine Gasse. So dürften Welser und der zweite Mann verschwunden sein.
    Mir ist etwas schwindlig, ich winke ein Taxi heran, erst im letzten Moment fällt mir ein, dass ich kein Geld habe.
    »Ich hab es mir anders überlegt«, sage ich lahm. Der Fahrer starrt auf meinen Oberarm. Erst jetzt wird mir klar, dass die Jacke nicht nur zerrissen, sondern auch blutig ist. U-Bahn. Ich fahre ungern schwarz. Ich habe jedes Mal das Gefühl, erwischt zu werden. Jetzt habe ich einen Grund mehr, mich andauernd umzusehen. Aber nichts passiert. Ich steige aus, gehe die paar Gassen zu meiner Wohnung. Mir ist, als hätte ich viel Blut verloren, viel mehr, als es in der Realität gewesen sein kann. Ich fühle mich seltsam leicht, wie schwebend. Zum Glück habe ich einen Ersatzschlüssel zur Wohnung bei meiner Nachbarin. Auch sie sieht mich erschrocken an. »Schaut wilder aus, als es ist«, sage ich und habe keine Lust, mehr zu erklären. Auf ihr »Wirklich alles okay?« nicke ich bloß.
    Ich habe eine Menge zu organisieren. Ich muss mit Kreditkartenfirmen, mit meiner Bank telefonieren. Mein Mobiltelefon. Auch weg. Samt der Nummer von Dolochow. Samt gespeichertem Anrufverlauf. Wenigstens die SMS habe ich in den letzten Tagen immer gleich gelöscht. Vielleicht hatte man es auf mein Telefon abgesehen?
    Ich nehme meinen Festnetzapparat mit ins Wohnzimmer, zum Glück hat er eine zehn Meter lange Schnur. Ich stelle ihn auf meinen großen alten Tisch für alle Gelegenheiten. Massive Holzplatte, ohne einen einzigen Nagel verarbeitet, angeblich Landhaus-Biedermeierstil, mir egal, ich mag den schweren Tisch jedenfalls.
    »Waren Sie schon bei der Polizei?«, fragt mich die Sachbearbeiterin der Bank. War ich nicht. Ich fühle mich nicht fit genug. Wie kommt man zu einem neuen Journalistenausweis? Mit der Journalistengewerkschaft habe ich genau einmal im Jahr zu tun: wenn ich meinen Mitgliedsbeitrag überweise und sie mir den Jahresaufkleber schickt. Ich sollte mich mehr engagieren. Warum eigentlich? Um mein Kaschmirtuch tut es mir am meisten leid. Und um meine Lieblingstasche. Ich muss zur Polizei.
    Ich versuche Vesna zu erreichen, bei Janas Mobilnummer hebt niemand ab. Ich traue mich nicht, Vesna direkt anzurufen. Wer weiß, worauf ich mich da eingelassen habe. Die Stichwunde war vielleicht bloß eine kleine Warnung, ein Vorgeschmack auf das, was mir passieren wird, wenn ich keine Ruhe gebe. Die Wunde tut jetzt deutlich mehr weh. Offenbar hat die Betäubung nachgelassen. Soll ich ein Schmerzmittel nehmen? Ich habe keine Ahnung, wie so etwas bei mir wirkt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mehr geschluckt zu haben als Aspirin. Gute Idee. Kein Schmerzmittel. Stattdessen Aspirin. Ich will es schon mit einem Schluck Whiskey hinunterspülen, entscheide mich im letzten Moment aber doch für

Weitere Kostenlose Bücher