Russen kommen
Vesna.
»Ist sie auch aus Russland?«, fragt Flemming mich, so als ob Vesna ihn nicht verstehen könnte.
»Da«, sagt Vesna und nickt. Na super. Was, wenn Flemming Russisch kann? Oder will sie genau das herausfinden?
»Ich hoffe, ich habe Ihre Fragen hinlänglich beantwortet«, meint Flemming und streckt mir die Hand entgegen.
»Wissen Sie, wo Sachow in Zürs übernachtet hat?«, frage ich.
»Woher soll ich das wissen? Ich glaube, er hat gar nicht in Zürs, sondern in Lech gewohnt. Kann sein, sie haben von einem privaten Appartement geredet.«
»Und dort haben Sie Dolochow getroffen.«
»Den Oligarchen? Sicher nicht.«
»Welser hat ihn gesehen.«
»Wie schön für ihn. Ist Dolochows Bruder nicht ums Leben gekommen?«
»Ja«, sage ich schlicht.
»Nicht ungefährlich, was Sie tun, nicht wahr? Ich denke, die Russenmafia hat wenig Respekt vor dem Leben. Wenn selbst der Bruder eines Oligarchen dran glauben muss. Ehemalige Gcheimdienstler. Sie kennen diese Welt nicht, werte Frau Journalistin. Ich bin darin aufgewachsen. Seien Sie vorsichtig.« Er blickt auf die Uhr. »Ich müsste längst …«
»Wie viel haben Sie investiert? Und warum reden Sie nicht? Haben Sie Angst um Ihr Geld? Werden Sie unter Druck gesetzt?« Vesna starrt ihm ins Gesicht. Für einen Moment glaube ich, er stürzt sich auf sie. Aber dann entspannen sich seine Muskeln. »So ein Unsinn.« Und zu mir gewandt: »Schreiben Sie den Quatsch ja nicht, mit Ihrer Kollegin geht die Fantasie durch. Außerdem: Ein russischer Akzent ist das nicht. Viel Glück!« Damit drängt er uns zur Tür hinaus, schließt sie hinter sich.
»Danke«, sagt Vesna zur erstaunten Direktionsassistentin und zieht mich mit nach draußen. »Aus der bekommen wir ohnehin nichts heraus«, sagt sie, als wir die cremefarbene Tür geschlossen haben und im weißen Gang stehen. »Aber ich habe überlegt: Der Gang geht rundherum um das Gebäude, endet hier nur beim Chefzimmer, dreimal ums Eck auf der anderen Seite ist der andere Ausgang vom Chefzimmer, schnell.« Sie geht so rasch, dass ich ihr kaum folgen kann. Ein junger Mann mit einer Computertasche kommt aus einer der Türen und sieht uns fragend an.
»Hallo«, grüßt Vesna, und wir eilen weiter. Tatsächlich. Dreimal um die Ecke, und da ist wieder eine letzte Tür. Diese allerdings hat keine Aufschrift. Wohl der direkte Eingang zum Chefbüro. Vesna drückt die Klinke. Verschlossen. Verdammt. Sie hört, wie hinter der Tür Schritte näher kommen. Der weiße Gang ist lang, keine Chance, sich zu verstecken. Und wir können ja nicht einfach so in ein Büro flüchten. Was bleibt uns anderes übrig? Ich probiere die Klinke der nächsten cremefarbenen Türe, auch hier kein Namensschild, sie geht auf. Wir schlüpfen hinein. Kopierraum, Stauraum. Regale mit Ordnern und beschrifteten Pappschachteln, ein riesiges Kopiergerät. Das daneben ist wohl ein Reißwolf. Ein Overheadprojektor auf einem Bürotischchen. Blauer Vorhang in der Ecke des schmalen Raumes, dahinter gestapeltes Klopapier. Die Tür geht auf, wir verstecken uns hinter dem Vorhang. Schritte. Ich kann nicht verhindern, dass Vesna den Vorhang vorsichtig ein Stückchen zur Seite schiebt. Flemming. Es ist zu hoffen, dass er kein Klopapier braucht. Er sieht in die andere Richtung, hat einen Stapel Zeitschriften in der Hand. Sind für solche Kopierarbeiten nicht andere da? Und da höre ich auch schon die Stimme der Frau Braun. »Chef, die sind weg. Ganz schön nervig, diese zwei Österreicherinnen. Ich habe jemanden am Apparat für Sie, er sagt, es sei dringend. Soll ich ihm ausrichten, Sie kommen gleich?«
»Was? Ja. Ich komme.« Die Tür fällt zu. Wir schlüpfen hinter dem Vorhang hervor. Ich eile zum Ausgang, wir sollten zusehen, dass wir wegkommen von hier.
Vesna schaut auf die Zeitschriften, die Flemming beim Kopierer liegen gelassen hat.
»Warum will er das kopieren?«, fragt sie und blättert den Stoß rasch durch. Computerzeitschriften, die aktuelle »Bunte«, ich kenne das Cover.
»Für den Reißwolf sind sie zu frisch. Und zu wenig brisant«, ergänze ich. »Komm!«
»Genau dieser Stoß ist auf dem Tisch neben seinem Schreibtisch gelegen«, flüstert Vesna und blättert weiter. Ein Prospekt zwischen den Zeitschriften.
»›Direktinvest‹ – investieren Sie direkt in Russlands boomenden Markt! Überlassen Sie Ihren Gewinn weder Banken noch Börsehaien!« Darunter das Foto von Boris Dolochow, wie er dem russischen Präsidenten die Hand schüttelt.
Vesna packt den
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