Russen kommen
»Verdammt noch mal, unser Flugzeug geht gleich!«, schreit eine rothaarige Frau. Die Beamten scheint das nicht zu kümmern. Ich muss so neugierig hinübergestarrt haben, dass mich ein älterer Mann anspricht. Seinem Dialekt zufolge stammt er aus der Gegend. »Die kontrollieren wirklich genau. Seit sich die Amerikaner vor den Terroristen fürchten, machen sie hier Terror gegen die Fluggäste. Wenn du nur eine Tube Flüssigkeit hast, dann gehört sie jetzt in ein kleines durchsichtiges Beutelchen. Und wenn du keines dabei hast, dann musst du die Tube abgeben oder zurückgehen, dir ein Beutelchen besorgen und dich wieder hinten anstellen. Nur zur Warnung, falls Sie unsere schöne Stadt wieder verlassen wollen.«
Ich nicke. »Danke. Ich hab so ein verschließbares Nylonsäckchen.«
»Tja«, sagt er und schaut auf die Schlange, die immer länger wird, »aber wenn man nicht so häufig fliegt, weiß man das nicht. Mir können die Amerikaner gestohlen bleiben. Früher hätte es das bei uns nicht gegeben.«
»Früher hätten Sie auch nicht wegfliegen dürfen«, erwidere ich.
Er lacht. »Quatsch. Nur nicht in den Westen. Und? Muss man dort hin?«
Ich treffe mich mit Vesna beim Leipziger Gewandhaus. Das Konzerthaus aus Beton und Glas wirkt nicht wie gebaut, sondern wie zufällig hier in der Mitte von Leipzig gelandet. Vesna scheint noch nicht da zu sein. Die Gebäude rund um den großen betonierten Platz sind teils neu renoviert, teils alt und abgewohnt, der Rest besteht aus lieblosen Plattenbauten, ohne Rücksicht auf Stil und Zusammenhang hochgezogen. Ein Hotel in eben diesem Plattenbaustil, andere, die aus einer Zeit stammen, in der es noch kein geteiltes Deutschland gegeben hat, auch keine Nazis. Auch keine Skins, denke ich mir, als ein paar glatzköpfige Jugendliche in Fliegerjacken und Springerstiefeln betont breitbeinig an mir vorbeimarschieren. Jetzt sehe ich Vesna. Sie sitzt auf einer Bank. Ich gehe auf sie zu, sie tut, als kenne sie mich nicht. Ich setze mich neben sie, habe den Eindruck, das ist schon etwas zu viel der Geheimnistuerei. Wer sollte uns auf dem großen Platz beobachten? Wer gar belauschen?
»Gut, dass du da bist, Mira Valensky«, murmelt sie und blickt weiter geradeaus.
»Alles in Ordnung, Vesna? Wirst du verfolgt?«
»Glaube ich nicht, ist nur für alle Fälle. Schaue geradeaus. Herausgefunden habe ich leider nichts. Gar nichts. Wie machen wir es, dass dieser Flemming mit uns redet? Ist große Firma, schon allein Verwaltungssitz.«
Ich lächle Vesna an. »Ausnahmsweise kein Tarnen und Täuschen. ›Guten Tag, ich bin Mira Valensky vom ›Magazin‹ und möchte Sie im Zusammenhang mit einer Russen-Story interviewen.‹ Wenn er das Gespräch verweigert, sieht es nicht gut aus für ihn. Wir haben Beweise, dass er sich am Arlberg mit den Russen von ›Direktinvest‹ getroffen hat. Und ich werde ihn fragen, ob er sich bei der Polizei gemeldet hat.«
Vesna sieht mich zweifelnd an. »Meinst du, das klappt?«
»Weißt du etwas Besseres? Sollen wir ihn fesseln?«
»Und an Liegestuhl binden? Ist geschmacklos, Mira Valensky.«
»Finde ich auch.«
Zur Direktionsassistentin vorzudringen ist nicht weiter schwierig. Die Mitarbeiternamen stehen im Foyer des Verwaltungsgebäudes auf einer großen schwarzen Tafel, samt Zimmernummer und Stockwerk. Keiner kümmert sich um uns. Keine Sicherheitskontrollen, nur ein älterer Portier hinter Glas, der eindeutig ein Toupet trägt und Zeitung liest.
Ich selbst mache ihn auf uns aufmerksam. Ich klopfe gegen seine Scheibe, er öffnet ein kleines Fensterchen und sieht uns freundlich an. »Was wollen Sie, Kindchen?«
Kindchen hat schon lang keiner mehr zu mir gesagt. Ich lächle so kindlich-harmlos wie möglich: »Zu Frau Braun, bitte. Wo finde ich sie?«
»Sie nehmen den Lift in den zweiten Stock, gehen rechts den Gang entlang bis zum Ende und klopfen an. Haben Sie sich das gemerkt? Ich kann hier nicht weg, sonst würde ich Sie begleiten …«
»Danke vielmals«, antworte ich, und wir nehmen den Lift. Die Wände des Ganges sind weiß gestrichen, cremefarbene Türen und Schilder, auf denen steht, wer hinter diesen Türen arbeitet. Keine Bilder an den Wänden, keine Fenster, helles Neonlicht. Ein Zweckbau. Neben der letzten der cremefarbenen Türen ein Schild mit »Berta Braun, Direktionsassistenz«.
Ich klopfe.
Berta Braun ist eine tüchtig wirkende Frau um die fünfzig. Sie trägt ein beiges Kostüm, gerade einmal einen Ton dunkler als die Eingangstür. Und
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