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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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mißbilligend den Kopf und setzte den Hund von ihrem Schoß hinunter auf die Bank. Das Tier hob den Kopf mit geschlossenen Augen, seufzte und steckte die Schnauze wieder unter den Schwanz. Die Art, wie Noa den häßlichen kleinen Köter betrachtete, ließ sie weit jünger erscheinen, als sie sich gab. Fast war Katalina gerührt.
    Sie folgte dem Mädchen zum Turmflügel und in das Treppenhaus, das in die oberen Räume führte. Der lange Flur im ersten Stock wirkte licht und aufgeräumt und entschieden weniger baufällig als andere Teile des Schlosses. Mit der Warnung vor dem Betreten der oberen Stockwerke wegen Einsturzgefahr wollte man offenbar Neugierige abschrecken.
    Noa öffnete eine der großen Flügeltüren, die vom Flur abgingen.
    Der alte Herr lag in einem wuchtigen Holzbett unter dickem Bettzeug, drei elektrische Heizkörper standen um ihn herum. Es war viel zu heiß im Zimmer. Sie bat Noa, eines der Fenster zu öffnen, und ging auf das Bett zu.
    »Herr –?« Sie guckte Noa an. Noa zuckte mit den Schultern.
    Die Augenlider des Mannes flatterten. Die Haut über dem schmalen Schädel wirkte wächsern, in den tief eingegrabenen Mundwinkeln sammelte sich der Speichel. Katalina nahm die rechte Hand des Kranken. Kalkweiß und kalt. Der Puls kaum zu spüren. Auf einem Tisch in der Nähe des Bettes lagen Arzneimittel, eines davon ein gängiges blutdrucksenkendes Medikament.
    Der Mann vor ihr hatte keinen zu hohen Blutdruck. Er hatte fast gar keinen mehr. Als ihr Blick auf die Packung neben dem blutdrucksenkenden Mittel fiel, ahnte sie, was los war. Der Mann nahm außer Wandonorm auch noch Amaryl, ein orales Antidiabetikum, das den Blutzucker senkt – und zwar bis unter die Grasnarbe, wenn man nicht aufpaßte.
    Katalina nahm die Hand des alten Herrn zwischen ihre Hände und begann sie behutsam zu massieren. Schöne Hände hatte der Mann, lange, schmale Finger und die Spannweite eines Klavierspielers. Nur die weißliche Warze auf dem Handrücken störte.
    An einen Schlaganfall glaubte sie nicht mehr. Wohl aber an eine massive Unterzuckerung, die erst ins Koma und dann zum Tod führen kann, wenn man nichts dagegen unternimmt.
    »Habt ihr Traubenzucker im Haus?«
    Noa starrte gebannt auf den alten Herrn und rührte sich nicht vom Fleck.
    Wieder flatterten dessen Augenlider. Die wächserne Haut. Die kalten Hände. »Apfelsaft! Bananen! Irgendwas Süßes! Worauf wartest du noch? Noa! Beeil dich!«
    »Ist er … erholt er sich wieder?«
    »Ja, wenn du tust, was ich dir sage! Honig hilft auch!«
    Endlich ging Noa. Katalina betrachtete den Kranken. Kurze weiße Haare. Cäsarenschnitt. Sie strich ihm sanft über die Stirn, die sich glatt anfühlte, trotz der vielen braunen Altersflecken. Kalter Schweiß.
    Der Mann war bestimmt über achtzig. Ein Verwandter? Der Vater der drei Franken-Schwestern?
    »Herr Franken?« Man konnte es ja mal versuchen. Vielleicht bekam er noch etwas mit von dem, was um ihn herum geschah.
    Und dann öffneten sich seine Augen. Hellblau. Heller geworden mit dem Alter, nahm sie an. Noch blicklos. Aber plötzlich nahm er sie wahr. Das eben noch eingefallene Gesicht veränderte sich. Ein hingerissenes, ein hinreißendes Lächeln breitete sich aus, begann mit den Augen, ergriff den Mund. Er flüsterte etwas. Sie nahm wieder seine Hände zwischen die ihren und rieb sie sanft. Sie schienen nicht mehr ganz so kalt zu sein. Die Augen des Alten schlossen sich und öffneten sich gleich wieder. »Sternchen«, sagte er. Diesmal verstand sie ihn deutlich. Er hatte Sternchen gesagt.
    In diesem Moment kam Noa mit Saft und Honig und Bananen, Alma im Gefolge – im Nachthemd, mit verstrubbelten Haaren und aufgerissenen Augen. Sie sah alt aus ohne die übliche Make-up-Schicht.
    »Was machen Sie hier?« Dann fiel ihr Blick auf den Mann. Sie stürzte ans Bett. »Was ist los? Ist er –?«
    Plötzlich gingen Katalina all die unvollendeten Sätze, zu denen die Familie Franken neigte, entsetzlich auf die Nerven.
    »Nein, er ist nicht tot. Nein, es sieht auch nicht so aus, als ob er gleich sterben würde. Er hat einen zu niedrigen Blutdruck und eine schwere Unterzuckerung. Das ist zwar sicherlich gefährlich, aber man kann etwas dagegen tun.«
    »Hat er was gesagt?«
    Katalina wunderte sich über die Frage. Nein, besser gesagt: über die Art, wie Alma fragte. Lauernd. Mißtrauisch. Erwartungsvoll. Alles davon. Sie legte den Arm um den alten Herrn und zog ihn hoch, bis er halbwegs aufrecht in den Kissen lehnte. Langsam

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