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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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diesmal nicht. Im Turmflügel, dort, wo einst die gräflichen Wohnräume gewesen waren, ging hinter dreien der Fenster das Licht an. Eine Gestalt trat ans Fenster, öffnete es, blickte hinaus, schloß es dann wieder und zog die Vorhänge zu. Das konnte nur eine sein: Noa.
    Als sie vor dem Kutscherhaus angelangt war, sah sie drei der schloßeigenen Pfauen auf dem Fensterbrett neben dem Eingang hocken. Die Vögel schienen etwas zu betrachten, nein – zu bewachen. Sie trat näher. Unter dem Fensterbrett stand ein Karton, der sich bewegte.
    Katalina seufzte. Sie hatte damit gerechnet. Man mußte darauf gefaßt sein, daß die einzige Tierärztin weit und breit zur Anlaufadresse für alle unerwünschten Kreaturen wurde, die man loswerden wollte, ohne allzugroße Schuldgefühle haben zu müssen. Sie scheuchte die Pfauen fort. Im Karton hockte ein feuchtes, graues Fellbündel, das jämmerlich wimmerte, als sie es hochhob, und ihr dann begeistert die Nase ableckte.
    »Das hat mir gerade noch gefehlt«, murmelte sie und trug das Bündel ins Haus.
    Es war das häßlichste Hundebaby, das ihr je unter die Augen gekommen war.
    Später machte sie eine Flasche Wein auf. Es war kein Rotwein, wie Peer Gundson ihn ausgeschenkt hätte. Alex Kemper würde wahrscheinlich noch nicht einmal probieren davon. Aber schon der erste Schluck versetzte sie an die Berghänge von Mostar. Sie nahm das Glas mit nach draußen zur Bank vor der Tür. Nach einer Weile kam das struppige Tierchen schlaftrunken hinter ihr her, kletterte auf ihren Schoß, drehte sich zweimal um sich selbst, steckte die Schnauze unter seinen Schwanz und schlief ein, tief, wie Babies eben schlafen.
    Katalina hielt das Gesicht in die kühle, duftende Brise und starrte mit halbgeschlossenen Augen in die Nacht. Das wäre eine Nacht für Gavro gewesen. Neumond. Kein Laut, nirgends. Einschwebende Fledermäuse, jagende Eulen. Jetzt raschelte irgendwo ein Tier.
    Das Mädchen stand vor ihr. Katalina zuckte zusammen. Gavro, den sie eben noch neben sich gespürt hatte, zog sich zurück in die tieferen Schichten ihres Bewußtseins.
    Noa trug ein weites T-Shirt über bequemen Hosen und sah plötzlich wie ein ganz normaler Teenager aus. Nein – wie ein verwirrter, ja verängstigter Teenager.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    Das Mädchen nickte.
    »Geht es Alma nicht gut?« Man konnte ja nie wissen. Tierärzte sind Mädchen für alles.
    Noa biß sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf.
    »Könnten Sie … ich meine: so, daß es niemand merkt? Vor allem Alma nicht?«
    »Was soll ich so, daß es niemand merkt?« Katalina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Es ist der alte Herr.«
    Welcher alte Herr? »Peer Gundson? Alex Kemper?«
    »Ach, die doch nicht. Es ist – mein Pflegefall«, sagte Noa mit der Bitterkeit der Jungen, die lieber in die Disco gehen würden als sich in einem halbverfallenen Schloß um Pflegefälle kümmern.
    »Wo gibt es denn hier einen Pflegefall, den ich noch nicht kenne?«
    Noa verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln. »Es soll ja auch niemand wissen.«
    »Also: wer und wo?«
    »Er liegt im Turmflügel. Es geht ihm nicht gut.«
    »Wer – er?«
    »Na, der Alte halt.« Sie wand sich verlegen wie ein Kind. »Alex nennt ihn Nepomuk, das Schloßgespenst.«
    Katalina gab auf. »Was sagt der Hausarzt?«
    Noa guckte gequält. »Der ist –« Sie dachte ein bißchen zu lange nach, bevor sie »im Urlaub!« anfügte.
    »Und warum versuchst du es nicht mit dem Notruf?«
    »Katalina! Bitte! Alma bringt mich um!« Das Mädchen sah so verzweifelt aus, daß Katalina es fast in den Arm genommen hätte.
    »Na, ich kann ja mal nachsehen.« Wer was von Pferden versteht, kennt sich auch aus mit Menschen, hatte ihr Lehrer an der Universität gesagt. Sofern es nicht um einen Schlüsselbeinbruch geht – Pferde haben nämlich keins. Und kotzen können sie auch nicht.
    »Er ist … er ist so komisch. « Noa knetete ihre Hände. »Erst hat er wirre Sachen erzählt. Dann war er völlig verschwitzt. Und jetzt fühlt er sich ganz kalt an. Und – seine Medikamente. Erin hat mir noch erklärt, was ich ihm alles geben soll, aber ich weiß nicht mehr genau, wieviel und in welcher Reihenfolge und wann.«
    Noa war sichtlich durcheinander. Kein Wunder. Das klang nach Kreislaufkollaps – schlimmer wären Schlaganfall oder Herzinfarkt. Hatte Erin dem Mädchen wirklich die Pflege eines kranken Mannes anvertraut, der auch noch in dieser unwirtlichen Ruine hauste? Katalina schüttelte

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