Russisch Blut
einem Blick auf die Ereignisse vom Abend zuvor anzuspielen. Auch die anderen waren da. Alex. Erin. Und Sophie, die ihr Gesicht unter einem großen Hut mit schwarzer Schleife verbarg und die Hand auf Peer Gundsons Knie gelegt hatte, als ob es der Hundekopf des treuen Leo wäre.
Noa drückte Katalina ungefragt ein Glas in die Hand. Das Mädchen servierte die Drinks mit der ganzen Zuvorkommenheit einer rebellierenden Fünfzehnjährigen. Die anderen Schloßbewohner aber waren zur Charmeoffensive angetreten.
Sophie war die einzige, die nichts Frühlingshaftes trug. Alma hatte sich pfundweise Eigenkreationen um den Hals gehängt, Erin sah ausnahmsweise mal nicht nur blaß aus, und sogar Peer Gundson wirkte belebt. Alma schwirrte von Gast zu Gast wie eine Hummel von Blüte zu Blüte. Und Alex Kemper lehnte an dem reichlich ramponierten Klavier, das Alma sonstwo aufgetrieben haben mochte, und flirtete mit der Bürgermeisterin, wobei ihm Erin vom Fenster her zusah. Es war nicht das erste Glas, das er leerte, und er winkte viel zu schnell und viel zu gebieterisch nach Noa und Nachschub.
Katalina stand an der Terrassentür, die Nase so nah wie möglich an der Luft, die nach warmer Erde und Narzissen roch, und betrachtete das Tableau im Gartensaal von Schloß Blanckenburg, das alle Merkmale eines Heimatromans aus dem 19. Jahrhundert versammelte. Wenn die von der Burg zum Empfang luden, kamen immer noch alle: der Bürgermeister und der Pfarrer und der Lehrer. Es störte noch nicht einmal, daß der Bürgermeister viel zu jung war, der Pastor eine Frau, der Lehrer der Leiter einer hochangesehenen Eliteschule eine Burg weiter und der Advokat fehlte. Wenn sie sich dazustellte, wäre sogar der Arzt zur Stelle – wenn auch nur der Tierarzt.
Die einzige, die nicht ins Bild paßte, war Noa, die bauchfrei trug und hohe Stiefel zur engen Hose. Und Alma. Sie lachte zu laut. »Ein Golfhotel? Nein, nein, keine Sorge, daran sind schon unsere Vorgänger gescheitert!«
Die Bürgermeisterin nickte. Sie sah verloren aus unter dem großen Ölgemälde über dem Kamin, unter dem selbst Alma wie eine Zwergenkönigin wirkte. Irgendein Pippin der Seltsame. Gestern hatte es dort noch nicht gehangen. Katalina trat näher. Man hatte das Bild nicht gerade gut behandelt – der Rahmen sah billig und nicht sehr alt aus und dort, wo ein empfindungsloser Mensch die Leinwand gefaltet oder geknickt hatte, war die Ölfarbe abgesprungen. Ein Urahn derer von Blanckenburg? Finster genug sah er drein, der hakennasige Herr mit dem strengen Mund. Und die anderen, kleineren Bilder, einige älteren, einige jüngeren Datums? Sie hingen ohne Ordnung an der Wand, Alma hatte sie offenbar nach Größe und Schönheit sortiert und nicht nach einer Familienchronik, die ohnehin niemanden, der heute auf Blanckenburg wohnte, betraf.
Trotzdem verglich Katalina die drei Schwestern mit dem finsteren Ahnen. Er kam ihr bekannt vor. Aber nein, es gab keine Ähnlichkeiten. Höchstens Alma konnte es an Imposanz mit dem gräflichen Vorfahren aufnehmen.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben, dorthin, wo noch Reste des alten Stucks an der Decke hingen. Man würde viel, sehr viel Geld brauchen, um das Schloß wieder herzurichten. Ein Thema, das auch die Anwesenden beschäftigte, wieder einmal. Sie senkte den Kopf und blickte in die Runde.
»Ein Gartenfestival ist nun wirklich keine zündende Idee«, murmelte Sophie, ohne Erin anzusehen, von der offenbar der Vorschlag gekommen war, und nippte an der Tasse mit dem Kaffee, der schon längst kalt sein mußte. »Und stell dir vor: all die Leute, die dir den Rasen kaputtrampeln und alles mitnehmen, was nicht angeschraubt ist.«
»Man muß die Geschichte einbeziehen. Die eigentliche Tradition von Schloß Blanckenburg«, sagte der Schulmann mit tragender Stimme. »Sie sind hier von Geschichte umgeben!«
Alma nickte eifrig.
»Wir können die Entstehungszeit der ursprünglichen Burganlage auf das 12. Jahrhundert zurückführen.« Die Bürgermeisterin klang, als ob sie auch bei Tatsachenbehauptungen auf die parteipolitische Zulässigkeit ihrer Aussage achtete.
»Die Napoleonischen Kriege. Blanckenburg war von französischen Truppen belagert, und der Schwarze Herzog starb 1815 bei Quatrebras.«
»Vielleicht denken Sie auch an die Kirche, die bis 1945 neben dem Schloß stand«, sagte die Pfarrerin leise. Klara Buddensen war die einzige unter den Gästen, die sich nicht wohl zu fühlen schien. »Wäre der damalige
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