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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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flößte sie ihm etwas von dem Saft ein.
    »Nein, er hat nichts gesagt.« Der Schluckreflex funktionierte noch. »Wie lange ist er schon bettlägerig?«
    Die beiden sahen sich an. »Seit ein paar Wochen«, sagte Alma schließlich zögernd.
    »Und was sagt der Arzt?«
    »Was soll der schon sagen?«
    Richtig. Sie hätte im übrigen auch nicht gewußt, wie gefährlich die Kombination von Amaryl und Wandonorm bei älteren Menschen sein kann, wenn sie nicht so etwas Ähnliches schon einmal erlebt hätte. Der Mann hatte einen prächtigen Schäferhund gehabt, der gottlob die ganze Nachbarschaft zusammengebellt hatte.
    »Wer gibt dem Mann seine Medikamente?«
    »Erin. Normalerweise.«
    Katalina bildete sich ein, daß sich der alte Herr zu erholen begann.
    »Es ist nur – ich habe die da heute morgen vergessen.« Noa machte eine vage Kopfbewegung hin zu der Packung mit den Antidiabetika. »Und deshalb habe ich ihm vorhin gleich zwei gegeben. Aber das hat wohl nichts mehr genützt.«
    Im Gegenteil. Es hatte zu gut genützt. Katalina verstand Erin nicht. Wie konnte sie die komplizierte Versorgung eines Diabeteskranken einem fünfzehnjährigen Kind überlassen?
    Sie hielt dem alten Herrn das Glas an die Lippen, während Alma die Banane mit Honig vermengte. »Er war – es ist – mein Exmann«, murmelte sie.
    »Noas Vater?« Warum nicht. Auch wenn keine Ähnlichkeit zu erkennen war – der Mann hatte ausgeprägte Gesichtszüge, eine starke Nase, ein herrisches Kinn.
    »Nein. Der kam vorher. Ich meine: danach.«
    Wie denn nun? dachte Katalina, während sie auf den Atem des Alten lauschte.
    »Sind Sie sicher, daß es der Blutzucker ist?« Alma klang plötzlich wieder mißtrauisch.
    »Nein«, sagte Katalina, die hinter dem Wasserglas einen Streifen mit Filmtabletten entdeckt hatte. Rohypnol war ein Schlafmittel, das auch in normaler Dosis einen älteren Herrn umhauen konnte, sofern der nicht durch jahrelangen Gebrauch daran gewöhnt war. »Wenn er nicht bald wieder hochkommt, dann war es ein Schlafmittel. Oder besser gesagt: zuviel davon.«
    Zuviel davon. Ein Schlafmittel. Eine Dogge, deren Lebendgewicht allerdings nicht ganz an das eines erwachsenen Mannes heranreichte. Hatte jemand an Leo getestet, wie Rohypnol wirkt und in welcher Dosis es tödlich ist? Was für ein Gedanke!
    Katalina ließ den Kopf des Mannes aufs Kissen zurücksinken. Er kam langsam zu sich.
    »Wie können Sie das wissen, Sie sind doch –« Alma versuchte, sich zu bremsen.
    Katalina stand von der Bettkante auf, steckte die Hände in die Jeans und drehte sich zu Alma um. »Ich bin Veterinärmedizinerin, Frau Franken. Und ich kenne den Unterschied zwischen Tieren und Menschen. Er kann sehr groß sein. Und sehr klein.«
    »Und gackernde Hühner sind auch nicht besser als dumme Esel«, knurrte es vom Bett her.
    »Schön, daß Sie wieder unter uns weilen, mein Herr«, sagte Katalina.
    »Und wie immer bei bester Laune.« Alma drehte sich um und zog die widerstrebende Noa mit hinaus. Sie ließ die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloß fallen.
    »Wer sind Sie?« fragte der alte Herr.
    Katalina reichte ihm die Hand. »Katalina Cavic. Ich bin der Pferdedoktor hier.«
    Er lächelte. Nicht so weich, wie vorhin, nicht so traumverloren, fast zärtlich. »Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen«, sagte er.

3
    Ein toter Hund. Ein alter Mann, den man an den Rand des Todes medikamentiert hatte. Katalina hatte nicht gut geschlafen nach der Begegnung mit dem Kranken gestern abend. Wieso wohnte der Exmann von Alma im Schloß, obwohl er noch nicht einmal Noas Vater war? Und warum hielt man seine Anwesenheit in den ehemals gräflichen Zimmerfluchten geheim?
    Beim Zähneputzen fiel es ihr wieder ein. Irgend jemand hatte einen alten Mann erwähnt, 84 Jahre alt. Aber wann, wo, wer?
    Sie trank den Kaffee in der Küche und hörte zu, wie das Findeltier mit gieriger Schnauze seinen Eßnapf über den Küchenfußboden schob. Der Hund fraß mit beeindruckendem Appetit. Bei Tageslicht war er nicht hübscher geworden. Zeus, dachte sie. Der Göttervater, der sich nicht zu fein war, sich in ein niederes Tier zu verwandeln, wenn ihm nach Nähe zu den Menschen war. Gott ist auch in den häßlichsten Dingen.
    »Dein Name sei Zeus«, sagte sie und hob den Kaffeebecher. Der Hund stellte sein hingerissenes Schmatzen und Schlingen ein und blickte auf, die Ohren gespitzt, die bernsteinbraunen Augen voller Aufmerksamkeit. »Zeus«, wiederholte sie. Er bewegte seinen Schwanz, erst langsam, dann

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