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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ins Leben zurückgekehrt. Es war Alma, die in dem großen Saal umherhuschte. Irgendwie war es ihr gelungen, das alte Sofa aus der Küche im Traiteurshaus hinüberzuschaffen und eine verwirrend vielfältige Menge von Sesselchen, Stühlen und Beistelltischen über den ganzen Raum zu verteilen. Bilder hingen an den Wänden, Kerzenleuchter standen vor Spiegeln, Stoffe waren über Tische und Stühle verteilt – eine rote Samtdecke. Ein bunter Quilt. Dazwischen mehrere Grünpflanzen und eine abschreckend moderne Stehlampe. Katalina stand staunend in der Tür und ging dann langsam durch den Saal. Wenn man näher kam, sah man, wie schäbig vieles war – die Spiegel blind, die Bilderrahmen billig.
    »Schön?« Alma stand neben ihr, das Gesicht gerötet, die Augen funkelnd.
    »Wunderschön«, sagte Katalina. Die warmen Töne der Stoffe, der glitzernde Schmuck, den Alma auf den Tischchen verteilt hatte und das Kerzenlicht gaben dem Raum etwas von seiner alten Würde zurück. Eine Wiedergutmachung.
    Der Anblick rührte etwas an, irgendeine Saite in ihr, die sie noch nicht kannte. Vielleicht hatten die drei Schwestern und ihr Anhang etwas von seiner Aura gespürt, als sie den alten Kasten kauften? Denn ohne sentimentale Zuneigung zu diesem Ort verbrachte ein erfolgreicher Anwalt wie Alex Kemper nicht seine Wochenenden hier. Und was sonst konnte auf einen Bankmanager wie Peer Gundson, auf eine bekannte Kunsthistorikerin wie Sophie Franken so unwiderstehlich wirken?
    »Ich habe alles genommen, was ich finden konnte. Gerümpel meistens. Aber jetzt, da es Frühling wird, ist es Zeit, das Schloß zu öffnen.«
    Alma, hatte sie geglaubt, war noch am ehesten zu verstehen. Sie spielte die Haushälterin, wahrscheinlich gegen Bezahlung durch die anderen. So konnte sie nebenbei an ihrer Schmuckkollektion arbeiten und ihre Tochter im Auge behalten. Aber jetzt nahm sie eine gänzlich neue Rolle ein: Alma war die Schloßherrin. Und die fragte man, wenn man mehr von dem alten Monstrum sehen wollte, als der Blick durch verstaubte Fenster offenbarte.
    Alma zögerte kaum merklich. Dann lachte sie. »Eine Führung? Warum nicht?«
    Es war noch nicht dunkel draußen, aber in den anderen Räumen des Schlosses herrschte Zwielicht. Alma ging voraus, durch die Kapelle – »im Stockwerk darüber befand sich die Bibliothek, übrigens im 18. Jahrhundert schon öffentlich« – und durch den Kaisersaal – »Stuckarbeiten von Jakob Perinetti und Carlo Rossi«. Vor dem Turmflügel zögerte sie. »Die Statuen symbolisieren die Künste und die Wissenschaften – Eversmann 1723«, sagte sie, so, als ob Katalina wissen müßte, wie großartig das war. Katalina lächelte schweigend. Sie hatte von Architektur soviel Ahnung wie Humanmediziner vom Knochengerüst eines Pferdes.
    Alma erlaubte ihr einen flüchtigen Blick in die ehemalige Schloßküche, die im Parterre des Turmflügels untergebracht war, sagte vage: »Im ersten Stock waren die Wohnräume der gräflichen Familie« und eilte dann zurück zum lichtdurchfluteten Saal – »im Neuen Flügel wurden die Gäste untergebracht«. Der Gartensaal, wie ihn Alma getauft hatte, der mit der einbrechenden Dämmerung draußen umso heiterer wirkte, öffnete sich auf der Rückseite zu einem mauerumstandenen kleinen Garten. Katalina ging durch die Terrassentür hinaus und blickte in den Abendhimmel und über die Dächer Blanckenburgs hinweg, wo die Straßenlichter angegangen waren.
    Vielleicht war es die warme Luft, vielleicht die ersten Frühlingsgefühle, aber plötzlich glaubte auch sie an neues Leben in den Ruinen Blanckenburgs. Sie ging zurück in den Gartensaal, in dem Alma stand, mit glühenden Wangen, und sich langsam um die eigene Achse drehte, um ihr Werk zu bewundern.
    »Sie kommen hoffentlich auch morgen.« Alma klang wie ein Kind vor der Bescherung. »Morgen eröffnen wir die Saison. Eine Soiree –« Ihre Hand umschrieb einen weiten Bogen. »Für die Stadthonoratioren. Für die Elite Blanckenburgs. Sie wissen doch: Pfarrer, Bürgermeister, Notar.«
    Sie legte Katalina die Hand auf den Unterarm und beugte sich mit Verschwörermiene vor. »Blanckenburg hat sein Schloß zurück. Die werden uns noch die Füße küssen.«
    Bevor sie ging, half Katalina, das Sofa an eine andere, eine »dramatischere« Stelle zu rücken, wie Alma sich ausdrückte. Auf dem Weg zum Kutscherhaus drehte sie sich um und badete ihre Augen in dem warmen Licht, das vom Schloß her hinüberdrang. Und dann … Nein, sie täuschte sich auch

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