Russisch Blut
schneller, sprang auf sie zu und leckte ihr ausgiebig die Hand.
Die provisorische Leine, die sie ihm anlegte, bevor sie ihn mitnahm zum Einkaufen, kam weniger gut an. Sie gingen zu Fuß in die Stadt – sofern man von gehen sprechen konnte, wenn an jedem zweiten Baum angehalten werden mußte, weil dem Köter etwas Aufregendes in die Nase stieg. Ihr Mobiltelefon verhielt sich erfreulich still. Die anderen Tiere Blanckenburgs schienen heute alle gesund zu sein – oder das frühlingshafte Wetter draußen hatte ihre Besitzer abgelenkt von der eigenen Einsamkeit.
Zwei ihrer Kunden führten den Hund aus und begrüßten Katalina auf der Straße. Andere nickten ihr zu – sie war bereits eine bekannte Größe in der Stadt. Alle waren höflich, tätschelten Zeus und beglückwünschten sie zu ihrer Namenswahl, aber man sah ihnen an, was sie dachten: Zeus war der häßlichste Hund, den man jemals gesehen hatte.
Nur die Dame mit dem ausladenden Hut konnte Katalina nicht gleich einordnen. Sie war nicht ohne weiteres wiederzuerkennen, weil sie bei Katalinas erstem Besuch kein Wagenrad auf dem Kopf getragen hatte – es war das Frauchen von Gero, dem schon etwas altersschwachen Weimaraner.
Man mußte niemanden lange auffordern, über das Schloß, seine Geschichte und seine neuen Besitzer zu reden. Alex erregte allgemein die Neugier: die einen hielten ihn für ein ganz großes Tier, die anderen fanden ihn wenigstens charmant. Peer Gundson entzündete die Phantasie weit weniger. »Wenn er schon bei der Bank ist, dann soll er mal das Geld beischaffen, damit endlich was passiert da oben in diesem Rattennest«, sagte die Buchhändlerin, bei der Katalina zwei dicke Krimis kaufte. Aber niemand erwähnte einen »alten Herrn« und auf ihre direkte Frage, ob es außer den Frankens und ihrer Sippe noch andere Bewohner des Schlosses gäbe, erntete sie erstaunte Blicke. In der Tat: wer sollte das schon besser wissen als sie?
Die Frankens hatten offenbar mehr zu verbergen als ein bißchen Ehebruch und finanzielle Probleme. Katalina setzte sich auf einen der weißen Stühle vor dem italienischen Eiscafé und blinzelte in die Sonne, während ein erschöpfter Zeus sich zu ihren Füßen fallen ließ. Sie versteckten einen alten Mann. Und womöglich hatte jemand den Hund zu vergiften versucht. Noa? Mädchen in ihrem Alter waren zu den merkwürdigsten Dingen fähig. Und Noa zeigte alle Anzeichen pubertären Irreseins: Sie spionierte Alex Kemper hinterher, wahrscheinlich schwärmte sie für ihn, und sie wußte, daß Alex etwas mit Sophie hatte. Nichts läge also näher, als Sophie durch das Vergiften ihres Hundes zu bestrafen. Den Zugang zu den entsprechenden Medikamenten hatte Noa ja.
Aber daß sie dem alten Herrn aus Absicht die doppelte Dosis des blutzuckersenkenden Mittels gegeben haben sollte … Katalina hatte das Mädchen vor Augen. Das war echte Panik gewesen, da war nichts gespielt. Und es würde sie sehr wundern, wenn Noa der Zusammenhang zwischen Unterzuckerung und Koma vertraut wäre. Sie trank ihren Milchkaffee aus und stand auf.
»Haben Sie schon gehört?« Ettore, der Besitzer vom »Golfo di Napoli«, quittierte ihren Wunsch nach der Rechnung mit höflicher Abwehr. Er hielt den kostenlosen Milchkaffee für eine Ehrensache, seit sie die Meerschweinchen seiner Bambini von Koliken befreit hatte.
»Es kam eben in den Nachrichten. Sie haben am Krellberg einen alten Bunker geöffnet und ein Munitionslager gefunden. Und zwei Skelette. Von Menschen. «
Den ganzen Heimweg über beschäftigte sie der Gedanke an die Menschenknochen. Sie war aufgewachsen in dem festen Glauben ihrer Großmutter, daß die Toten zurückkehren – nicht jene, die friedlich im Bett verschieden und ordnungsgemäß beigesetzt worden waren. Sondern die anderen: die man erschossen, erschlagen, ertränkt oder sonstwie gemeuchelt hatte. Ein Aberglaube, der im Land ihrer Herkunft Wirklichkeit geworden war – wahrscheinlich spülte noch immer jedes Frühjahrshochwasser Totenteile an die Oberfläche. Und hier, in Deutschland, fast sechzig Jahre nach dem Ende des Krieges? Auch hier stiegen sie aus dem Hades, die Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg. Wann wurden Knochen zu Staub? Sie wußte es nicht. Es schien unendlich lange zu dauern.
Alma mußte den ganzen Tag für ihre Soiree gearbeitet haben – der Gartensaal sah selbst im hellen Spätnachmittagslicht verwunschen aus. Katalina registrierte das charmante Lächeln, mit dem Alma sie begrüßte, ohne auch nur mit
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