Russisch Blut
Körpers ab.
Die Wucht des Zusammenpralls mußte enorm gewesen sein. Sie suchte die Straße ab. Die Bremsspur kam ihr verhältnismäßig kurz vor. Der Gewitterregen dürfte für schlechte Sicht gesorgt haben – außerdem versperrte ein blühender Apfelbaum dort, wo der Aufprall stattgefunden haben mußte, den Blick nach links. Hinter dem Apfelbaum erstreckte sich ein gelbes Rapsfeld bis zu einem Wirtschaftsweg, der hoch zum Schloß führte.
Katalina richtete den Blick nach rechts, über den Unfallwagen hinweg. Ein Graben. Ein Zaun. Zwei Pfosten herausgerissen, dazwischen verbogener Maschendraht, das Gras zertrampelt. Da war es.
Das schwarze Pferd lag auf der Seite und versuchte aufzustehen.
Mit der Arzttasche in der Hand stieg Katalina über den Graben und bahnte sich einen Weg durch die Lücke im Weidezaun. Sie hörte das Tier schnauben. Es schrie nicht. Als sie näher kam, sah sie, daß die Wiese dunkel war vor Blut.
Sie spürte einen Kloß im Hals, als sie sich neben das Pferd kniete, in dessen aufgerissenen Augen die Panik stand. Wieder versuchte Daphne, sich aufzurichten. Katalina redete beruhigend auf sie ein. Was sie sah, war hoffnungslos: weiße Knochen unter klaffendem rotem Fleisch. Rippenfraktur. Offene Wunden an den Beinen. Das Tier mußte in vollem Lauf in das Auto gerannt sein.
Daphne ließ den Kopf aufs Gras sinken. Katalina streichelte ihr die Nüstern. Die Stute atmete angestrengt, hatte Schaum vor dem Maul, der sich langsam hellrot färbte.
Unter Tränen flüsterte sie Worte, die das Tier ebensowenig verstand wie der Sanitäter, der irgend etwas zu ihr hinüberrief. Sie blieb bei der Stute, bis deren Atmen langsamer und tiefer wurde. Bis die großen dunklen Augen stumpf geworden waren.
Sie wollte nicht dabeisein, wenn man das Tier abtransportierte. Statt dessen setzte sie sich aufs Fahrrad und fuhr los. Nur weg.
Unterhalb des Schlosses erstreckte sich das Land weit und flach bis an den Horizont, wo es anstieg zum Brocken hin. Sie trat mit aller Kraft in die Pedale. Ihr Puls jagte. Es war bewölkt, die Luft war nach dem Gewitterregen abgekühlt, aber sie schwitzte schon nach wenigen Kilometern. Nur der Kloß im Hals wollte nicht weichen.
Der Tod der Stute machte sie hilflos – hilflos vor Zorn. Jemand hatte das Tier benutzt. Und egal, wovor Daphne vor wenigen Stunden in Panik geflohen war – vor dem Gewitter? –, jemand hatte genau das riskiert. Die beiden Insassen des Geländewagens waren zufällige Opfer, sie waren in den Weg geraten, in Kauf genommen worden. Würde man das als Mord oder als Totschlag bezeichnen? Egal. An den niederen Motiven konnte es keinen Zweifel geben.
Ein Auto überholte sie, ein Kabrio. Die beiden jungen Leute winkten und riefen etwas. Nach einem Kompliment hörte es sich nicht an.
Nach einer Weile fuhr sie langsamer. Für sie war der Fall klar. Wer ein Pferd manipulierte, so, wie man es mit Daphne gemacht haben mußte, hatte für die Folgen einzustehen. Ob die Polizei das auch so sah? Sie hatte ihre Zweifel. Rust war an einem Herzanfall gestorben; daß der Zusammenprall mit einem durchgehenden Pferd dafür ursächlich war, würde man nie mit Sicherheit beweisen können. Und in diesem Fall? Man würde Alex Kemper belangen – vielmehr: seine Haftpflichtversicherung. Hatte er seine Fürsorgepflicht vernachlässigt? Auch das würde ihm schwer nachzuweisen sein.
Der Fahrtwind trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie fühlte sich benutzt.
Denn auch der Graf kannte Sigurd Rust, er hatte es zugegeben. Wußte der alte Herr, daß sein alter Kontaktmann tot war? Oder war es sogar vorstellbar, daß niemand anders als ein betagter adliger Simulant Daphne manipuliert und Rust in die Falle gelockt hatte? Eine Unterzuckerung konnte sich jeder intelligente Patient selbst zufügen. Es war nicht auszuschließen, daß der Graf vorher bei bester Gesundheit und klarem Verstand gewesen und mitnichten auf Bettruhe angewiesen war. Sie sah Marten vor sich, den Knecht von Tenharden, Marten in der blauen Arbeitsjacke mit dem roten Besen. Er hatte den Grafen gesehen.
9
Als sie naßgeschwitzt zurückkam, saßen Köster und Sager auf der Bank vor dem Haus. Sie hatten sich die gleichen Gedanken gemacht wie sie.
»Kennen Sie einen Grund, warum die Stute Amok gelaufen ist?«
Amok? Sager mußte ihr angesehen haben, daß sie den Begriff nicht passend fand. »Sie ist jedenfalls nicht ausgebrochen«, sagte er und guckte in sein Notizbuch. »Das Gatter war offen. Der andere Gaul steht noch
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