Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
gar nicht zahnloser Wolf.
    Katalina lehnte sich zurück. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Zeitung auf dem Sessel liegen. Sie griff nach dem Blatt. Es war die »Brockenzeitung«, die Ausgabe vom Montag, mit dem Bericht über die skandalösen Ausgrabungsaktivitäten auf Schloß Blanckenburg und dem Wunsch, dem Grafen möge es gelingen, sein Erbe auf legalem Wege zurückzuerhalten. Eine Gebrauchsanweisung, wenn man so wollte.
    »Haben Sie schon die Zeitung gelesen?«
    »Noch nicht. Irgend jemand hat mir das Blättchen in Allerherrgottsfrühe auf den Nachttisch gelegt. Etwas ganz Neues! Wenn ich früher um eine Zeitung bat, hieß es, man lese so was nicht.« Der alte Herr lachte.
    Katalina ahnte, wie die Zeitung ins Zimmer des Grafen gekommen war. Nicht in Allerherrgottsfrühe, sondern in der Nacht, von jemandem, der mit einer Taschenlampe durch die Gänge des Schlosses geschlichen war.
    Es sah ganz danach aus, als ob nicht nur der Graf die Wünsche der Frankens durchkreuzen wollte. Katalina ging zurück zum Fenster und schaute hinaus. Am Himmel ballten sich Gewitterwolken. Die Mauersegler flogen tief. Ihr war gar nicht aufgefallen, daß die Flugartisten mit dem schrillen Schrei wieder da waren.
    Irgend jemand hatte versucht, den Grafen zum Schweigen zu bringen, ein Mensch, der auch den Tod des alten Herrn in Kauf genommen hätte, wenn er nur still blieb. Irgend jemand, dem daran gelegen war, daß die Wünsche, von denen der Graf sprach, nicht in Erfüllung gingen. Und jetzt? Jetzt schien jemand eine andere Strategie zu verfolgen, mit demselben Resultat: Wenn der alte Herr die Frankens nicht mehr brauchte, um sein Schloß zu behalten, würden sie ebenfalls leer ausgehen.
    »Also – womit haben Sie die Frankens gelockt?«
    »Gelockt? Ich habe nur – auf ein paar bemerkenswerte Tatsachen hingewiesen. Den Rest hat ihre Phantasie besorgt.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel auf die gut 400 Gemälde von Michelangelo Merisi Caravaggio, die man aus der Berliner Gemäldegalerie ausgelagert hatte und die nie wieder aufgetaucht sind.«
    Katalina kannte nicht mehr als den Namen: Caravaggio. Ein Maler.
    »1571 bis 1610, ein italienischer Meister, unbezahlbar«, sagte der alte Herr spöttisch.
    »Und Sie haben behauptet, das alles wäre hier irgendwo versteckt?«
    »Nichts habe ich behauptet. Ich habe gesagt, daß diese und andere Gemälde, die man im Flakturm Friedrichshain ausgelagert hatte, dort wahrscheinlich verbrannt sind. Womöglich aber auch nicht.«
    Katalina starrte ihn an.
    Der Alte lächelte mit schmalen Lippen. »Schließlich kann man einen Brand auch legen, um zu vertuschen, daß die Bilder längst den Besitzer gewechselt haben. Und nach Übersee gegangen waren. Oder in die Sowjetunion. Oder –«
    »Nach Blanckenburg?« Ihre Sympathie für ihn begann zu schwinden.
    »In dieser Gegend ist alles untertunnelt. Ich wüßte den einen oder anderen Ort, der sich für die Lagerung von Kunstschätzen bestens eignete.«
    »Aber – es ist doch längst alles untersucht worden, von der Stasi, zum Beispiel.«
    Der Graf sah sie amüsiert an. »Selbst die haben nicht alles gefunden.«
    »Und woher wissen Sie das?« Katalina dachte an Sigurd Rust. Auch der hatte offenbar geglaubt, noch etwas entdecken zu können.
    »Ich habe jahrelang einen der Stasi-Schatzjäger mit Devisen bestochen – für auch nur die geringste Spur zum Vermögen meiner Vorfahren. Aber der Mann war ein kleiner Betrüger. Rust hieß er. Sigurd Rust.«
    Draußen donnerte es. Und dann setzte der Regen ein.

8
    Der Anblick war grauenvoll. Der dunkelgrüne Blechhaufen am Straßenrand erinnerte kaum noch an ein Auto. Die Motorhaube des Geländewagens war zusammengedrückt, die Tür auf der Fahrerseite stand in groteskem Winkel offen. Auf dem regennassen Asphalt Blutspuren, zersplittertes Glas. Ein Krankenwagen und ein Polizeifahrzeug standen vor und hinter dem Wrack auf dem Bankett. Katalina bremste und lehnte das Fahrrad an einen Baum am Straßenrand. Sie sah noch, wie die Rettungssanitäter einen Körper auf einer Trage in den Krankenwagen schoben. Einer der Männer hielt den Beutel mit der Infusionslösung in der einen Hand, in der anderen trug er eine blutverschmierte Plastiktüte. Katalina murmelte mit klopfendem Herzen die Gebete ihrer Großmutter, die alle mit »Bitte, lieber Gott« begannen. Der Krankenwagen setzte sich in Bewegung.
    Jemand anders hatte nicht überlebt. Unter der Decke neben dem Unfallwagen zeichneten sich die Umrisse eines menschlichen

Weitere Kostenlose Bücher