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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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zugerufen, auf Deutsch, in Walliser Dialekt.
    Selbst wenn es sich um lokale Zivilpolizisten handeln sollte oder tatsächlich um Walliser Skilehrer, die nur hierhergekommen waren, um der Serviertochter etwas auszurichten, und auch wenn ich mir nur einbildete, dass sie hinter mir her waren: Ich wollte weg. Hier würde ich nicht länger bleiben, auch nicht für eine Nacht.
    Ich lief in die Gaststube hinunter, sagte, dass ich morgen frühzeitig abreisen musste, und bezahlte mein Zimmer. Die Besitzerin nahm mein Geld entgegen, zwar weniger nervös, aber kaum entgegenkommender als am ersten Tag. Eine Quittung erhielt ich nicht, und vom Meldezettel, den ich auch beim Kommen nicht ausgefüllt hatte, war nicht die Rede. Mir war es recht, keinen Namen zu hinterlassen. Beiläufig erkundigte ich mich, ob jemand nach mir gefragt hatte. Sie verneinte.
    In meinem Zimmer steckte ich meine wenigen Sachen, genaugenommen nur das Sommerkleid, in einen Plastiksack. Alles übrige trug ich am Leib. Die Tasche mit dem Badeanzug befand sich unter den Tannenzweigen, und von mir aus konnte sie ruhig dort bleiben, inklusive Badetuch aus der Pension Cordula. Ich liess das Licht im Zimmer brennen, schlich ins Untergeschoss, fand eine Hintertür. Die Männer waren nicht zurückgekommen. Der Hinterhof lag verlassen, und ausser in meinem Zimmer brannte nirgendwo ein Licht. Ich kroch über die feuchte Wiese den Abhang hinauf und stiess weiter oben auf eine Querstrasse. Weil ich nicht durch das Dorf laufen wollte, ging ich zuerst hangwärts und schliesslich in einem grossen Bogen um das Dorf herum. Unterhalb der Ortschaft fand ich den Wanderweg, der von Leukerbad nach Leuk hinunter führt. Eigentlich handelte es sich um das Bahntrassee einer stillgelegten Eisenbahn. Der Weg war natürlich unbeleuchtet, und immer wieder stiess ich mir die Zehen an. Verschiedene Male verlor ich die Richtung und geriet sofort in Panik wegen der nahe gelegenen Dala-Schlucht, aber das Licht meines Mobiltelefons half mir auf den Weg zurück.
    Es war zwei Uhr in der Früh, als ich in Inden ankam, für den Abstieg bis hierher hatte ich in der Dunkelheit mehrere Stunden gebraucht. Ich suchte mir einen Platz, um den Morgen abzuwarten. Für den Weg nach Leuk musste ich hinunter in die Schlucht, und dazu fehlte mir der Mut. Etwas oberhalb des Weilers fand ich einen kleinen Schafstall, eine kurze Leiter führte auf den Heuboden. Ich setzte mich auf die staubigen Bretter, zog Heu heran und ordnete es wie eine Decke um mich herum an. Morgen früh würde ich fluchen und mir stundenlang Gräser aus den Haaren und Kleidern zupfen. Vor allem aus der Faserpelzjacke.
    Durch die offene Tür des Heubodens hatte ich einen wunderbaren Blick auf den Nachthimmel und auf das Dorf zu meinen Füssen. Die Geräusche der Schafe im Stall unter mir, die kalte, klare Luft, die unzähligen Sterne, die finsteren Berghänge mit schneebedeckten, weissen Spitzen – die Welt um mich herum war unbeschreiblich schön. Die Nacht wie durchsichtig und vollkommen still, bis auf das leise Schnaufen der Schafe unter mir, die sich ab und zu bewegten. Ich kam zur Ruhe, ich fand Distanz. Alles hatte seine Richtigkeit, alles würde sich klären. Ich dachte daran, wie ich vor ein paar Tagen in Bern von den Einbrüchen überrumpelt worden war. Eine unüberlegte Reise nach Leukerbad, ohne zu wissen, was mich erwartete. Wie ich geschockt im Thermalbad Juris Tod zu verstehen versuchte. Wie ich mich schliesslich in eine Angst hineingesteigert hatte, in eine Panik. An das viele Geld, das ich, vorne in meine Hose gestopft, mit mir herumtrug.
    Juri war tot, und sein Tod stand in Zusammenhang mit irgendwelchen Machenschaften, die ich nicht verstand. Ich muss herausfinden, um was es geht, dachte ich aus dem Nichts heraus. Die ruhige Nacht liess mich klar und kompromisslos denken. Nach Monaten, in denen ich mich ziellos hatte treiben lassen. Es mag mir manchmal an Entschlusskraft mangeln, aber feige war ich nicht. Es war wie eine Herausforderung, die ich annehmen musste. Etwas, dem ich nicht ausweichen durfte. Nicht Juri zuliebe, so gut hatte ich ihn gar nicht gekannt. Nicht der Gerechtigkeit zuliebe, das war mir zu abstrakt. Vielleicht aus Rache. Weil es nicht ging, dass ganz normale Menschen ersäuft wurden. Weil ich selbst verfolgt wurde, weil jemand in meine Wohnung eingedrungen war, um Juris Koffer zu stehlen. Weil ich nicht die Gejagte sein wollte, weil ich vor niemandem davonrennen würde. Vielleicht für mein

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