Russische Freunde
kannte sich auf jeden Fall. So war das doch im Wallis.
Ich las ein bisschen etwas über das Finanzdebakel von Leukerbad, auch wenn das inzwischen um Jahre zurücklag. Einen Schuldenberg von über dreihundert Millionen Franken hatte es hinterlassen, und Leukerbad wurde in der Folge als erste Schweizer Gemeinde unter Zwangsverwaltung gestellt. Mit diesen alten Geschichten hatte Lothar Perren allerdings kaum etwas zu tun, dafür war er zu jung. Ausserdem, Schulden in der Höhe von dreihundert Millionen, aus der heutigen Perspektive klang das lächerlich.
Schliesslich klickte ich mich durch die Webseite des Kurbads, wo ich verschiedene Mitarbeiter abgebildet fand. Die beiden Männer, die mich verfolgt hatten, waren nicht darunter.
Zwei Stunden später hatte ich wenig erfolgreich nach Infos über Alexandre Pereira, den Bademeister, und dann über Petar Lischkow, Balthasar Zeiler und Tobias Bucher, die Kontakte aus Juris Telefon, gesucht. Die Firma Impexpo, für die Juri ab und zu Administratives erledigt hatte, betrieb in Russland einen Handel mit Schweizer Markenartikeln. Nichts von dem, was ich auf ihrer Webseite über sie las, half mir weiter, und sowieso hatte Juri in den letzten Monaten nicht mehr für sie gearbeitet. So langsam verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen, und mein Rücken tat weh. Ein Büro war schön und gut, aber ohne Schreibtisch doch ziemlich unvollkommen.
Doch es gab noch etwas. Ich holte Juris USB -Stick hervor. Als ich ihn mir letztes Mal angesehen hatte, war es noch um die Frage gegangen, wo Juri stecken könnte. Jetzt suchte ich nach einem Mordmotiv. Da waren zuerst einmal die Fotos. Während mindestens einer Stunde schaute ich mir Aufnahmen an, ohne zu wissen, nach was ich suchte. Ich sah keinen Zusammenhang zwischen den Fotos, alle in mondäner Umgebung aufgenommen, und Juris Leben. Juri selbst konnte ich auf keinem der Bilder entdecken, was vielleicht einfach deshalb der Fall war, weil er jeweils fotografiert hatte. Musste ich mich an den Gedanken gewöhnen, dass es noch einen anderen Juri gab als denjenigen, der in einem Altbau lebte und bei Aldi einkaufte? Einen, der in sehr wohlhabenden Kreisen verkehrte und manchmal Tausende von Franken mit sich herumtrug? Möglich war das schon, aber ich fühlte mich verraten dabei.
Inzwischen war es Nachmittag geworden, ich hatte viel zu viel Nescafé getrunken, ich war müde, ich hatte Rückenschmerzen und wollte nicht mehr zusammengekauert auf dem Boden sitzen. An den Kopfschmerzen waren bestimmt die frisch gestrichenen Wände Schuld. Ausserdem war der Raum viel zu heiss und viel zu trocken. Ich riss das Fenster auf und streckte mich auf dem Boden aus. Nach ein paar Minuten raffte ich mich wieder auf, obschon es mir beim besten Willen nicht mehr gelang, eine erträgliche Position zu finden vor dem Laptop auf der Kartonschachtel. Innert Kürze waren meine Beine wieder taub und kalt.
Trotzdem sah ich mir die Textdateien auf Juris Stick sorgfältig an. Die englische Powerpoint-Präsentation kannte ich schon, beim genaueren Hinsehen fand ich heraus, dass sie für eine Wirtschaftstagung zu Handelsbeziehungen mit Russland geschrieben worden war. Eine Tagung, die das SECO , das Staatssekretariat für Wirtschaft, organisiert hatte. Kurz bevor ich aufgab, fand ich die Zahlendateien wieder, auf die ich schon beim ersten Durchsehen gestossen war. Das meiste an Text war auf Russisch, dazu kam, dass mit Kürzeln gearbeitet wurde. Deshalb hatte ich, egal wie lange ich darauf starrte, keine Ahnung, ob es sich um Bankauszüge, um Teile einer Buchhaltung oder um etwas ganz anderes handelte. Bis ich wach wurde. Die Dateien stammten von einer Firma namens AdFin. AdFin, das war es, womit sich der unfreundliche Mann gemeldet hatte, bei einem meiner Anrufe an Juris Telefonkontakte. Ich hatte ihn damals schlecht verstanden, aber jetzt war ich mir sicher.
Nun googelte ich AdFin und stiess auf eine Firma, die sich im Branchenverzeichnis mit Dienstleistungen im Finanzbereich, Finanztransaktionen und Investitionsberatung anpries. Sie war auf Geschäfte mit Russland spezialisiert, und tatsächlich stimmte auch die Nummer aus Juris Mobiltelefon mit der Firmennummer überein.
Die Kopfschmerzen spielten keine Rolle mehr. Ich hatte bei Juri viel Geld gefunden. Juri hatte mit dieser Firma telefoniert und hatte ihre Finanzunterlagen auf seinem Stick. Wenn das keine Spur war! Ich konnte mir zwar unter den von AdFin angeboteten Advisory, Transaction und Financial Services
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