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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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verschwunden.
    Schliesslich war das Telefon beendet.
    «Ich habe ein persönliches Anliegen», begann ich. Nach den kritischen Gedanken von heute Morgen wollte ich es mit der Wahrheit versuchen. «Ich bin gekommen, weil Tobias Bucher, der ja Selbstmord begangen hat, hier ein Praktikum gemacht hat. Sie haben ihn sicher gekannt.»
    «Ja, natürlich», die Frau war sehr ernst geworden, «natürlich. Er hat ein halbes Jahr hier gearbeitet. Wir sind immer noch ganz geschockt, wie konnte das passieren. Es kam so völlig unerwartet für uns alle.»
    «Ich versuche herauszufinden, was der Grund für diesen Selbstmord war. Ob es irgendwelche ganz konkreten Gründe gegeben hat, ob etwas passiert ist, was ihn dazu gebracht hat.»
    «Sein Selbstmord kam sehr überraschend, aber was meinen Sie mit konkreten Gründen? So gut habe ich ihn nicht gekannt, vermutlich niemand hier.»
    «Ich meine, ich versuche herauszufinden, ob etwas vorgefallen ist, ob ihn etwas unter Druck gesetzt hat. Ob er sich vielleicht bedroht gefühlt hat.»
    «Bedroht? Und Sie meinen hier im Amt? Meinen Sie denn, dass hier etwas vorgefallen sei?», sie sah mich ziemlich fassungslos an.
    «Nein, wahrscheinlich nicht hier. Haben Sie schon einmal etwas von AdFin gehört?»
    «Nein, habe ich nicht. Müsste ich das? Was wollen Sie denn von mir wissen?»
    Sie drehte sich in ihrem Bürostuhl seitwärts ab, bereit, ihr Amt zu verteidigen.
    «Nein, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe nur das Gefühl, dass etwas Besonderes vorgefallen sein muss, und suche jetzt an allen Orten nach einem Grund.»
    «Ich glaube nicht, dass hier etwas vorgefallen ist, wie Sie sagen. Hier geht es sehr ruhig zu, und alle waren zufrieden mit Tobias Bucher.»
    «Gab es jemanden im Team, mit dem er sich besonders gut verstanden hat? Den er vielleicht über seine Beweggründe ins Vertrauen gezogen hat?»
    «Nein, das glaube ich nicht. Tobias kam mit allen gut aus, aber besonders engen Kontakt hatte er mit niemandem. Für das war er nicht lange genug hier. Privates, wissen Sie, wir reden selten über Privates. Nur von seinen Fahrradtouren hat er ab und zu gesprochen. Er hat es ja auf einer Fahrradtour – getan. Und davon hat er an jenem Morgen gesprochen, von der Tour, die er im Sinn hatte, meine ich. Er wollte nach Wimmis radeln. Es war ja so schönes Wetter. An seinem letzten Vormittag sassen wir in der Kaffeepause zusammen, und er hat davon gesprochen, dass er nach Wimmis wollte. Kein Mensch hätte gedacht, was er wirklich im Sinn hatte. Wir haben zwei junge Mitarbeiterinnen hier, die auch Rennräder haben. Sie haben sich über verschiedene Touren unterhalten. Tobias hat ihnen die Route aufgezeichnet, die er nehmen wollte, daran kann ich mich noch erinnern. Tobias hat an diesem Tag darum gebeten, etwas früher gehen zu dürfen. Wegen der Fahrradtour, sagte er. So gegen drei Uhr ging er. Es war ein strahlend schöner Tag.»
    Sie unterbrach sich, sprach dann aber weiter.
    «In bester Stimmung ist er gegangen. Es ist nichts vorgefallen. Ich verstehe schon, was Sie meinen, es ist eigenartig. Ein so plötzlicher, ein so radikaler Stimmungswechsel. Als er hier wegging, dachte er nicht an Selbstmord, da bin ich mir sicher.»
    Nach einer weiteren Pause fuhr sie fort.
    «Vielleicht litt er an Depressionen, von denen niemand etwas bemerkt hat. Wenn er Medikamente genommen und die plötzlich abgesetzt hat, dann wären solche Stimmungsschwankungen doch denkbar. Es hat hier alle sehr erschüttert, müssen Sie wissen. Aber ich fürchte, niemand hat ihn gut genug gekannt, um seine Beweggründe zu verstehen. Sie sind aber nicht seine Mutter, oder?»
    Als sie das fragte, sah sie mich erschrocken an.
    «Nein, ich bin seine Tante», log ich nun doch noch, «aber es wäre wichtig, dass seine Mutter seinen Tod besser verstehen kann.»
    «Ihre Schwester?»
    «Meine Schwägerin.»
    Ich stand immer noch in der Tür zum Sekretariat, Geräusche in meinem Rücken liessen mich über die Schulter nach hinten sehen. Der Lift war wieder in diesem Stockwerk stehen geblieben. Ein paar Schritte hinter mir stand im halbdüsteren Gang Bernasconi und beobachtete mich. Ich nahm an, dass er unserem Gespräch zugehört hatte.
    «Mein Beileid», murmelte er leise und ging an mir vorbei den Gang hinunter. Die Sekretärin erschrak, als sie ihn sah. Sie rannte zum Kopiergerät, in Eile, die Unterlagen für die Testamentseröffnung bereitzustellen.
    Ich nahm die Rolltreppe hinunter zur Migros Bubenberg. Das Gespräch auf

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