Russische Freunde
denn jetzt jedenfalls war das Gebäude Teil des Historischen Museums.
Als ich nicht mehr weiter wusste, ging ich ins Internet und googelte verschiedene Personen aus den Testamenten. Nichts, was von geringstem Interesse war. Kurz und gut, alles, was ich in Tobias’ Computer fand, war langweilig. Das war so und das blieb so. Frustriert verliess ich das Büro. Wenn wenigstens Caris sich melden würde.
19
Ich stieg beim Bahnhof die Treppen hoch zu dem Tearoom, in dem ich mich auf sieben mit Lisa Bächler verabredetet hatte, als mein Handy klingelte. Petar rief wieder einmal an und wollte mich sehen. Ich versprach, in den nächsten Tagen bei ihm vorbeizuschauen. Es war sein dritter, wenn nicht schon sein vierter Anruf in dieser Woche.
Der Tearoom oberhalb des Bahnhofs war mein Vorschlag gewesen, nur war es Jahre her seit meinem letzten Besuch. Als ich ankam, sah ich, dass er inzwischen völlig umgebaut worden war. Statt einer grossen Gaststube teilten sich nun eine Snackbar und ein Coiffeursalon den Raum. Die beiden Bereiche waren durch eine Glasscheibe voneinander getrennt. Ich schlenderte hinüber zu den momentan verwaisten Coiffeurstühlen und stellte mich an die Fensterfront, direkt über den Gleisen des Hauptbahnhofs. Unter mir in der Tiefe fuhren zwei Züge ein, in unterschiedlichem Tempo. Ich betrachtete das Gewirr aus elektrischen Leitungen und Masten zu meinen Füssen. Im Hintergrund lief leise ein lokaler Radiosender. Der Raum zitterte, als ein Zug in schnellem Tempo den Bahnhof verliess. Der Ort vermittelte immer noch das Gefühl von Grossstadt und von Fremde, das ich mochte.
Als ich an einem der kleinen Tische auf Lisa wartete, überfiel mich Hunger. Hinter der Theke befand sich eine Tür, durch die schliesslich eine Frau hereinkam. Als Antwort auf meine Frage nach etwas Essbarem stellte sie eine Plexiglasschale mit Sandwiches auf meinen Tisch, wortlos. Die Brote lagen bestimmt schon seit dem Morgen in der Schale, sie sahen aufgeweicht aus und schmierig, und so schmeckten sie auch. Auf der Theke stand ein Körbchen mit abgepackten Süssigkeiten und Chips, ich riss eine Packung Chips auf, um den Geschmack des Sandwichs zu vertreiben. Die Bedienung war wieder verschwunden, ich hörte sie nebenan telefonieren.
Ich klaubte gerade die letzten Chips und Salzreste aus der Packung, als ich Lisa Bächler bemerkte, die vor mir stand. Sie trug einen lachsfarbenen kurzen Mantel, der stark tailliert war, dazu eine enge schwarze Hose, die in glänzenden Stiefeln verschwand. Lisa trat zum Fenster, sah auf die Gleise hinunter und drehte sich dann zu mir um:
«Wollten Sie immer schon Lokomotivführerin werden?», fragte sie mit einem Lächeln, das sich nach links oben mehr ausdehnte als nach rechts. Sie setzte sich mir gegenüber an den Tisch, ich riss eine weitere Chipstüte auf und schob sie in die Tischmitte.
Lisa bediente sich: «Hat es denn keine Paprikachips?»
Ich überging ihre Kritik an den Chips.
«Nicht wegen der Lokomotiven. Ich bin nicht wegen den Lokomotiven hier. Mir gefällt die ungewohnte Perspektive. Und die Anonymität», beantwortete ich ihre erste Frage. Wir waren allein im Raum.
«Stimmt», meinte sie. Ihre Zustimmung bezog sich vermutlich auf die Anonymität. Ich bezweifelte, dass sie für dieses Treffen Rücksprache mit ihrem Chef genommen hatte. Sie schob mir die CD über den Tisch entgegen und sah mich dabei an, ihren prüfenden Blick kannte ich bereits.
«Unsere Gegner nehmen es mit den Gesetzen nicht sehr genau, um das Wenigste zu sagen. Deshalb finde ich, dass auch wir alle Möglichkeiten nützen müssen.»
Die Serviceangestellte brachte meine Cola und nahm Lisas Bestellung auf. Nachdem sie sich vom Tisch entfernt hatte, konnte ich mir die Frage nicht länger verklemmen: «Sie fanden also nichts Verdächtiges in den Dateien?»
Lisa Bächler lehnte sich auf ihrem Stuhl nach hinten. Inzwischen hatte sie sich an den Chips tüchtig bedient, auch die zweite Packung war leer.
«Darf ich Sie zuerst fragen, woher die Dateien stammen? Oder besser, ich finde, wir könnten uns du sagen. Woher hast du die Dateien?»
Ich nickte mein Einverständnis zum Du und überlegte einen Moment. Deshalb also war sie gekommen. Aber ich vertraute ihr, und sie wusste viel besser Bescheid als ich. Und allein kam ich sowieso nicht weiter. Es hatte keinen Sinn, ihr Halbbatziges zu erzählen oder etwas zu erfinden.
Also erzählte ich ihr vom Einbruch bei Juri, vom Koffer und vom Stick, auf dem sich die
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