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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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rasender Geschwindigkeit zwei Varianten der weiteren Entwicklung der Geschehnisse ab.
    Variante Nummer eins: Er sagt Pnyrja, daß Glukose-Galja den Löffel abgegeben hat. Panik bricht aus, alle machen sich aus dem Staub, und Pnyrja dreht die Sache so, daß die Schuld am Tod der Pädagogikstudentin an ihm, dem kleinen schutzlosen Wassili Sokolow, hängenbleibt. Wie Pnyrja das hinkriegen würde, war nicht wichtig. Der kahlköpfige Bandit war berühmt für seine Gerissenheit, und man erzählte sich, daß er die Minderjährigen nicht nur für kleine Dienste köderte, sondern vor allem, um immer einen Sündenbock bei der Hand zu haben, den man im Notfall den Bullen ausliefern konnte. Pnyrja verstand sich darauf, alle Register zu ziehen, zu überzeugen, einzuschüchtern, das Blaue vom Himmel herunterzulügen.
    Variante Nummer zwei: Wassili sagt niemandem etwas, verschwindet ganz leise, läuft nach Hause, wo sich eben jetzt der Major von der Miliz aufhält, und erzählt ihm, daß er gerade an einem leerstehenden Haus vorbeigekommen sei und aus dem Inneren schreckliche Schreie eines Mädchens und Männerstimmen gehört habe. In dem erleuchteten Fenster habe er deutlich die Silhouette dieses furchtbaren Kerls mit den Goldzähnen sehen können, des kahlköpfigen Schurken, den man Pnyrja rufe.
    Genosse Topotko würde Wassili im Namen der Miliz seine Anerkennung und Dankbarkeit aussprechen, schnell eine Streife holen, und man würde Pnyrja endlich auf frischer Tat erwischen, und zwar gleich bei zwei Kapitalverbrechen: Mord und Gruppenvergewaltigung.
    Die zweite Variante gefiel Wassili bedeutend besser als die erste. Bei der ersten drohte ihm die Strafkolonie für Minderjährige, bei der zweiten drohte ihm gar nichts, denn wenn Pnyrja festgenommen wurde, hatte er niemanden mehr zu fürchten.
    »Wo willst du hin?« wollte Pnyrja wissen, als er bemerkte, daß der Junge zur Tür hinausschlüpfte.
    »Pinkeln«, erwiderte Wassili, ohne sich zu besinnen.
    Zehn Minuten später war er zu Hause, und weitere zwanzig Minuten später nahm man Pnyrja und seine Bande fest – betrunken und zugekifft.
    Es stellte sich heraus, daß das Aphrodisiakum der Zigeunerinnen, das man der unglücklichen Glukose-Galja in den Wodka geschüttet hatte, ein Medikament war, das Tierärzte widerspenstigen Stuten vor dem Decken spritzen, und daß dieses Präparat für Menschen in Verbindung mit Alkohol ein tödliches Gift ist. Die Flasche fand man in Pnyrjas Jackentasche. Ihm drohten die Todesstrafe oder mindestens fünfzehn Jahre Haft unter verschärften Bedingungen.
    Major Topotko empfahl Wassilis Mutter, in einen anderen Bezirk, möglichst weit weg, zu ziehen. Er war Wassili aufrichtig dankbar, denn für die erfolgreiche Ergreifung eines besonders gefährlichen Verbrechers wurde er zum Oberleutnant befördert.
    Die kleine Familie siedelte von der Maljuschinka in ein neues Haus in der Nähe der Metrostation »Woikowskaja« um. Wassili war fortan nicht mehr mit Banditen befreundet. Er wurde ein braver Junge. Nach dem Militärdienst besuchte er die Milizschule. Er erhielt Urkunden und Abzeichen für ausgezeichnete Leistungen in Gefechtsausbildung und Politunterricht. Er verstand es, sich bei den Vorgesetzten beliebt zu machen. Er war ordentlich, korrekt, gewissenhaft. Sein aufmerksamer, durchdringender Blick, der dieKameraden so reizte, schien seinen Vorgesetzten ein Zeichen für Seriosität, Zuverlässigkeit und bedingungslose Ergebenheit.
    Ziemlich bald wurde er zum Oberleutnant und stellvertretenden Leiter der Kriminalabteilung befördert. Eines Tages verhörte er eine Zeugin. Es war ein junges, hübsches Mädchen. Sie waren allein in seinem Büro. Plötzlich zerriß sich das Mädchen mit einer jähen Bewegung die Bluse, ließ sich auf den Boden fallen und begann laut zu schreien: »Hilfe, Hilfe!«
    »Hast du den Verstand verloren, du Idiotin?« Wassili sprang auf und versuchte sie hochzuziehen.
    »Einen schönen Gruß von Pnyrja«, zischte das Mädchen mit dreistem Grinsen, holte Luft und schrie aus vollem Hals weiter: »Hilfe! Ich werde vergewaltigt!« Dabei schaffte sie es, sich mit beiden Händen in seine Uniformjacke zu krallen, und zwar so fest, daß er keine Möglichkeit fand, sie abzuschütteln.
    »Laß los, du Närrin! Das glaubt dir keiner!« Wassili versuchte, den Klammergriff ihrer Hände zu lösen, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel direkt auf sie.
    »Pnyrja läßt dir ausrichten, daß er dich Schwein überall erwischen wird«, flüsterte

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