Russische Orchidee
sie.
Zwar verstand er sich nicht darauf, die Damen mit Erzählungen aus dem harten Alltag der Miliz zu unterhalten, dafür jedoch konnte er vielsagend schweigen, unklare Andeutungen machen, und zusammen mit seinem durchdringenden Blick erzeugte das die Illusion einer interessanten, geheimnisvollen Vergangenheit voller gefährlicher Heldentaten. Allerdings hielt die Illusion nicht lange an. Der Hauptmann schenkte den Frauen keine Blumen, lud sie nicht ins Restaurant ein, machte ihnen in keiner Weise den Hof. Wenn es zu intimen Beziehungen kam, war er entsetzlich grob, fast gewalttätig.
Von jeder Frau wollte er die animalische Ergebenheit der auf der Matratze hingestreckten Glukose-Galja. Nur so empfand er Befriedigung. Aber gleichzeitig ekelte er sich vor der käuflichen Liebe, die doch die ausgefallensten Bedürfnisse erfüllt.
Sokolow wollte eine feste Beziehung zu einer Frau, die sehr schön, nicht dumm, treu und bescheiden sein sollte. Sie durfte kein Geld verlangen, keinerlei Ansprüche stellen, ihn weder heiraten noch Kinder haben wollen, denn Kinder konnte er absolut nicht leiden.
Und eines Tages hatte er Glück. Aus dem eiskalten Wasser der Moskwa zog er Warja Bogdanowa. Sie war blutjung, ungewöhnlich schön, unglücklich und schutzlos.
Für sie wurde der starre, aufmerksame Blick des Hauptmanns zum Symbol der Rettung. Der Alptraum, den sie erlebt hatte, hatte ihr fast den Verstand geraubt. Sie fürchtete sich nicht nur vor Wasser und Kälte, sondern auch vor den Menschen. Sie hielt sich selber für schmutzig und nichtswürdig. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war sie nicht imstande, durch die Straßen zu gehen. Sie glaubte, die Leute würden sie schief ansehen, in ihr die Närrin wiedererkennen, die sich in der Wohnung des Sexualtäters freiwillig ausgezogen und dann versucht hatte, sich zu ertränken.
»Ja, es stimmt«, sagte Sokolow, als sie mit ihm über ihre Ängste sprach, »das alles steht dir im Gesicht geschrieben. So wie bei einer Prostituierten der Beruf seine Spuren hinterläßt, so liegt auch im Ausdruck deiner Augen etwas Ähnliches.«
Verpackt als angebliche bittere Wahrheit sagte er ihr viele Gemeinheiten, die ihre Furcht noch verstärkten und sie noch hilfloser machten. Er brachte sie so weit, daß sie sich ihm völlig unterordnete und von ihm abhängig wurde. Ihre Mutter kam mit einem ganzen Sortiment von Nervenleiden ins Krankenhaus. Warja konnte nicht allein zu Hause bleiben, sie hatte kein Geld, keine Arbeitsstelle und keinen Studienplatz. Sokolow nahm sie bei sich auf. Er hatte sich mittlerweile eine Zweizimmerwohnung gekauft.
Die beiden unmöblierten Zimmer in einer gottverlassenen Gegend, mit den nackten Fenstern, aus denen man auf staubiges Brachland sah, wurden für Warja der einzige sichere Ort auf der Welt. Allmählich verwandelte sie sich in ein verschrecktes kleines wildes Tier. In der Wohnung gab es weder Radio noch Fernseher. Zu Mittag aß Sokolow im Dienst, auf dem Nachhauseweg kaufte er gewöhnlich Lebensmittel, daher brauchte sie wochenlang nicht aus demHaus zu gehen. Manchmal fuhr sie zu ihrer Mutter ins Krankenhaus, und jedesmal war der Weg dorthin für sie eine Folter. Ihr schien, als würden alle Leute im Bus und in der Metro sie anstarren.
Der Sommer ging zu Ende, das Brachland wurde erst schwarz vom herbstlichen Regen und Schmutz, dann weiß vom Schnee. Warja wickelte sich in eine wattierte Decke und schaute stundenlang aus dem nackten Fenster in den Schnee. Als Sokolow eines Tages einen kleinen Schäferhundwelpen mit dicken Pfötchen mitbrachte, freute sie sich riesig. Der Welpe war ganz winzig, tapste komisch durch die leeren Zimmer, hockte sich hin und hinterließ kleine Pfützen, kroch auf die Matratze, kläffte piepsig, wollte auf den Arm wie ein Kind und leckte hastig und gierig die Milch aus seiner Schale.
»Nennen wir ihn doch Warja«, schlug Sokolow vor und fügte boshaft und bissig, ohne die Andeutung eines Lächelns, hinzu: »Die Hündin Warja. Klingt doch gut, oder?«
Kapitel 26
In ihren nächtlichen Talkshows kam Jelisaweta Beljajewa mit den verschiedensten Menschen zusammen: mit hemmungslosen Zynikern und Karrieristen, grauen Bürokraten, ausgekochten Dieben, genialen Abenteurern und schwafelnden Parteipolitikern.
Einmal war der Vorsitzende einer dubiosen Parlamentsfraktion bei ihr zu Gast, eine skandalumwitterte und unberechenbare Gestalt. Lisa war ihm nie zuvor persönlich begegnet, kannte ihn nur aus dem Fernsehen und aus der
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