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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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das Mädchen, »aber wenn du Alki laufen läßt, bleibst du am Leben. Kapiert?«
    Der Wachhabende schaute zur Tür herein.
    »Ich werde vergewaltigt! Zu Hilfe!« kreischte das Mädchen.
    »Sokolow, was machst du, bist du verrückt geworden?« Der Wachhabende half ihm vom Boden auf, das Mädchen schrie immer weiter und zeigte allen ihre zerrissene Bluse.
    Diese Zeugin, Natalja Kuskowa, war in einem Fall von Wohnungsdiebstahl vorgeladen worden. Als Hauptverdächtigen hatte man den vorbestraften Alki festgenommen. Wassiliwußte, daß in dieser Sache viel davon abhing, in welcher Form er die Dokumente der Staatsanwaltschaft übergab, wobei niemand ihm etwas nachweisen könnte, wenn er alles so drehte, daß Alki vom Verdächtigen zum Zeugen wurde.
    Am selben Abend wurde er zu Hause angerufen.
    »Na, hast du’s dir überlegt?« fragte ihn eine weibliche Stimme.
    »Wer ist da? Mit wem spreche ich?«
    »Bist du ein Blödmann.« Im Hörer kicherte es. »Pnyrja hat gesagt, du bist klug, aber in Wirklichkeit bist du der letzte Trottel, Wassili. Also, hast du’s dir überlegt oder nicht?«
    »Verpiß dich«, schnauzte Wassili und warf den Hörer auf.
    Am nächsten Morgen ließ ihn der Chef seines Reviers rufen und teilte ihm mit, daß eine Anzeige von der Bürgerin Natalja Kuskowa vorliege, in der sie den Oberleutnant Sokolow beschuldige, er habe ihr mit der Festnahme gedroht, um sie so zum Geschlechtsverkehr mit ihm zu zwingen. Als sie sich widersetzt habe, habe er versucht, sie in seinem Büro zu vergewaltigen. Der Anzeige lag eine Bescheinigung der Poliklinik bei, die bestätigte, daß am Körper der Bürgerin Natalja Kuskowa Blutergüsse, Schrammen und andere charakteristische Spuren gefunden worden seien.
    Wassili rannte zu dem Wachhabenden, der in sein Büro geschaut hatte. »Du hast doch alles gesehen …«
    »Ich habe gesehen, wie du auf ihr lagst«, sagte der Wachhabende mit abgewandtem Blick.
    Sokolow schloß sich in seinem winzigen Büro ein und setzte sich an seinen Schreibkram, die Fertigstellung der Akte über den Wohnungsdiebstahl. Bald darauf wurde der vorbestrafte Alki aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Revierchef ließ Wassili kommen und teilte ihm mit, die Bürgerin Kuskowa habe ihre Anzeige zurückgezogen.
    »Beim nächsten Mal rufst du sofort an und holst Verstärkung«, empfahl er Wassili.
    Seit dieser Zeit bekam er zwei-, dreimal im Jahr einen Gruß von Pnyrja und tat alles, worum er gebeten wurde. Seine Furcht legte sich allmählich, und sein Gewissen quälte ihn auch nicht mehr, seit der wachhabende Hauptmann mit abgewandtem Blick gesagt hatte: »Ich habe gesehen, wie du auf ihr lagst.«
    Mit fünfundzwanzig erhielt Sokolow die Rangabzeichen eines Hauptmanns.
    Seine Kollegen liebten ihn zwar nicht, respektierten ihn jedoch. Das heißt, er glaubte, daß sie ihn respektierten, in Wirklichkeit aber gingen sie ihm aus dem Wege und wollten nichts mit ihm zu tun haben. Zum einen fanden sie ihn langweilig und humorlos, zum anderen hatte er diesen unangenehmen, durchdringenden Blick, und drittens stand er auf allzu vertraulichem Fuß mit dem Chef. Aber Wassili legte auch gar keinen Wert auf freundschaftliche Beziehungen zu seinen Kollegen. Wie in der Kindheit zog es ihn zu den Älteren und Ranghöheren. Die Zahl der Sterne auf den Schulterklappen machte für ihn den Wert eines Menschen aus.
    Alles in seinem Leben kam jetzt ins rechte Lot. Bestechungsgelder nahm er maßvoll und mit Bedacht, manchmal wurde er für die Erledigung eines Auftrags von Pnyrja nicht schlecht bezahlt. Er brachte in Erfahrung, daß Pnyrja im Lager feierlich in die Diebsgesellschaft aufgenommen worden war, daß er noch eine lange Strafe abzusitzen hatte, derweil jedoch nicht untätig war, sondern seine üblichen Geschäfte abwickelte.
    Auch Wassili Sokolow war nicht untätig. Für seine Zuverlässigkeit bei der Arbeit erhielt er Geldprämien. Er war sparsam, legte das Geld beiseite, gab es niemals für unnötige Dinge aus, sondern nur für nützliche Erwerbungen wie zumBeispiel ein Auto. Als nächstes Ziel stand auf seinem Lebensplan eine Wohnung, keine große, aber eine eigene, denn mit Mutter und Großmutter mochte er nicht länger zusammen leben.
    Den Frauen gefiel Sokolow. Es waren schöne, selbstbewußte Frauen, die sich für ihn interessierten. Sein kalter, durchdringender Blick erschien ihnen rätselhaft und verliebt. Die aufmerksamen Augen des stattlichen, gutgewachsenen, breitschultrigen Hauptmanns hypnotisierten

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