Russische Orchidee
stets eine Traubenzuckertablette mit Vitamin C.
Wassili holte man zum Schraubenspiel, weil Pnyrja es so wollte. Er sah nicht nur bei den Mädchen, sondern auch bei den Jungen gern zu, wenn sie ihre Unschuld verloren. Der kahlköpfige Bandit mit den Goldzähnen war überhaupt eine phantasievolle Natur. Sein Zimmer in einer verlassenen Kommunalwohnung, in dem zwei schmutzige Matratzen lagen und die Tapeten in Fetzen von den Wänden hingen, hatte er mit Hochglanzfotos aus alten ausländischen Kalendern verschönert, auf denen nackte Frauen in koketten Posen zu sehen waren. Frauen prangten auch auf den Rückseiten der Spielkarten. Und sogar Pnyrjas Kugelschreiberwar etwas Besonderes. In dem durchsichtigen, mit Glyzerin gefüllten Röhrchen schwamm eine Frau. Drehte man den Kuli um, verlor die Hübsche ihren Badeanzug.
Wassilis Mutter, die gerade zu Hause war, fragte nicht weiter, wohin ihr Sohn um zehn Uhr abends noch wollte. Sie erwartete den Besuch ihres Freundes, Major Topotko von der Miliz, und als Wassili aus der Diele rief: »Mama, ich geh noch ein bißchen raus«, antwortete sie: »Ja, geh nur, das Wetter ist schön«, wobei ihr gar nicht auffiel, daß es draußen windig, kalt und regnerisch war.
In dem leerstehenden alten Haus war es warm und gemütlich. Der Tschifir kam Wassili bitter vor, er zog ihm den Mund zusammen. Außer Tschifir gab es auch noch Marihuana. Es wurde mit Tabak, den man aus einer Belomor-Papirossa herausklopfte, vermischt, zurück in die Papirossa gestopft und in tiefen Zügen geraucht. Gleich der erste Zug stieg einem zu Kopf. Wassili beschloß, sich zurückzuhalten und sich nicht zu sehr betäuben, um sich die Eindrücke nicht zu verderben.
Vor dem Schraubenspiel flößte man Glukose-Galja Wodka und Tschifir ein und gab ihr eine ganze Papirossa mit Marihuana zu rauchen. Pnyrja blinzelte den Jungen zu, um ihnen anzudeuten, daß er Galja noch etwas anderes in den Wodka getan hatte. Die Zigeunerinnen vom Markt in der Nähe handelten mit kleinen Fläschchen, in denen angeblich spezielle Aphrodisiaka für Frauen waren.
Pnyrja schaltete Musik ein. Aus dem nagelneuen Kassettenrecorder »Elektronika« sang mit heiserer Stimme die Französin Dalida. Galja lachte wie verrückt und begann sich mitten im Zimmer auszuziehen, wobei sie ihre Kleider durch die Gegend warf und die Posen der Kalenderschönheiten nachahmte. Wassili schaute ihr zu und dachte, ja, das ist es, das richtige Leben der Erwachsenen, da geht die Post ab.Dafür malochen die kleinen Spießer, dafür dreht die Mafia ihre krummen Dinger. Alle haben das gleiche Ziel: dieses Zimmer mit den bunten Bildern, die nackte Galja mit ihren riesigen weißen Brüsten und ihrem runden Hintern, der weich und nachgiebig wie ein Kissen war.
Die Prozedur des Schraubenspiels machte auf Wassili keinen besonderen Eindruck, enttäuschte ihn sogar. Er fühlte sich an die Leibesübungen in der Schule erinnert, wenn alle der Reihe nach, schwitzend vor Eifer, Liegestütze und Kniebeugen machen, während der Lehrer mitzählt und auf die Stoppuhr schaut. Als die Reihe an ihn kam, erledigte er seine Aufgabe rasch und sachlich, der Akt selbst bereitete ihm kein Vergnügen. Ihm gefiel etwas anderes. Das Gefühl der absoluten Macht über ein lebendiges Wesen. Gestern hatte ihn Glukose-Galja noch herablassend in die Wange gekniffen, und nun lag sie platt ausgestreckt auf der Matratze, und man konnte mit ihr machen, was man wollte. Sie war ein Nichts.
Als es in die zweite Runde ging und Wassili wieder an der Reihe war, sich die Hose aufzuknöpfen, bemerkte er, daß Galjas Körper eigenartig schlaff und nachgiebig geworden war.
Die erste Wallung war vorüber, die Jungen hatten Glukose-Galja vergessen und spielten Karten. Aus dem Recorder dröhnte mit voller Lautstärke Musik von ABBA. Wassili schaute Galja ins Gesicht. Ihre Augen standen weit offen und blickten ihn direkt an. Er berührte mit dem Finger ihre Lippen und merkte, daß sie nicht mehr atmete.
Rasch stand er auf, knöpfte sich die Hose zu und schaute sich um. Die Party war in vollem Gange. Noch wußte keiner außer ihm, was geschehen war. Wassili überlegte fieberhaft. Er mußte eine wichtige Entscheidung treffen.
Er war ein aufmerksamer Junge und kannte das Gesetzder Kriminellen schon recht gut. Er begriff augenblicklich, daß Pnyrja die Angelegenheit auf ihn, den Minderjährigen, abwälzen würde, weil er wahrscheinlich mit einem blauen Auge davonkommen würde. In seiner Vorstellung liefen in
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