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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Presse und wunderte sich sehr, als sie einen ruhigen, müden älteren Mann mit melancholischen, leeren Augen und einemdurchaus sympathischen Gesicht erblickte. Er besprach kurz und sachlich den Verlauf des bevorstehenden Gesprächs mit ihr. Ein Politiker mit ausgezeichneten Manieren, der nicht viele Worte machte und vor allem völlig normal, fast sogar etwas langweilig wirkte.
    Wenn flegelhaftes Benehmen zum Beruf wird, hört es auf, Spaß zu machen und ist nur noch ermüdend, dachte Lisa.
    Sobald die Kamera eingeschaltet wurde, verwandelte sich das Gesicht des Fraktionsvorsitzenden auf erstaunliche Weise: Die Gesichtsmuskeln verschoben sich, die Augenbrauen traten schwer und dick hervor, auf der Stirn perlte Schweiß, die Augäpfel verdrehten sich nach oben, die Augen wurden weiß. Er starrte mit finsterem, fast schon irrem Blick in die Kamera, bewegte drohend die zottigen rötlichen Brauen, blies die Wangen auf und sprach hastig, heiser, wie im Fieber. Was er sagte, war vollkommen absurd.
    Nach der Sendung tranken sie Kaffee in ihrem kleinen Büro. Er ließ seine Bodyguards vor der Tür, zog sein Jackett aus, lehnte sich erschöpft im Sessel zurück und zündete sich eine Zigarette an. Man bekam Mitleid, wenn man ihn so anschaute. Seine Augen waren erloschen und eingefallen, die Wangen hingen schlaff herab, es war deutlich zu sehen, daß er schon sehr alt war, nicht mehr gesund und todmüde. Er wischte sich das schweißnasse Gesicht mit einem Taschentuch ab, und Lisa entschloß sich, ihm eine einfache Frage zu stellen: »Wozu?«
    »Im Namen unserer gemeinsamen Sache. Auf daß unser großes, leidgeprüftes Rußland blühe und gedeihe«, erwiderte er mit einem so verächtlichen Grinsen, daß ihr unheimlich wurde.
    »Ich verstehe«, sagte sie und stand auf, ohne ihren Kaffee ausgetrunken zu haben. »Danke für das interessante Gespräch. Alles Gute.«
    Er erhob sich ebenfalls, ging um den Tisch herum und küßte ihr galant die Hand.
    »Ich verabschiede mich nicht für immer, Jelisaweta Pawlowna. Ich habe vor, noch öfter in Ihre Sendung zu kommen, der Wahlkampf steht bevor, da muß man in den Medien präsent sein. Ich habe ein paar Skandale vorbereitet, habe mich im Puff mit nackten Mädchen filmen lassen und bin ins Gefängnis gefahren, um den Brüdern von der Mafia einen Besuch abzustatten. Sie lieben mich, die Huren ebenso wie die Mafiosi. Und von beiden gibt’s in Rußland viele, sehr viele, weit mehr, als Sie sich träumen lassen. Und alle sind sie für mich. Übrigens, wenn jemand Sie beleidigt, genieren Sie sich nicht, rufen Sie an. Wir helfen Ihnen. Sie gefallen mir, Jelisaweta Pawlowna.«
    »Danke.« Sie lächelte. »Ich komme schon selber klar.«
    »Ich meine es ernst. Meine Leute sind immer bereit, für einen anständigen Menschen einzutreten, besonders für eine Frau, und das völlig uneigennützig, im Unterschied zu den sogenannten anständigen Leuten, die nicht im Lager waren. Banditen und Huren sind die treuesten Menschen. Und alle sind für mich. Da haben Sie schon zehn Prozent Stimmen bei der Wahl. Für die anderen, die noch an meiner Bestimmung zweifeln, habe ich patriotische Verse geschrieben. Soll ich sie Ihnen vortragen?«
    »Danke. Ich höre sie mir lieber im Fernsehen an. Sollen sie für mich eine angenehme Überraschung sein, wie für Millionen meiner Landsleute.«
    »Recht haben Sie, es sind sowieso erbärmlich schlechte Verse. Aber das ist ein großes Geheimnis. Und wissen Sie, wer die Wahlen gewinnt?«
    »Selbstverständlich Sie«, sagte Lisa lächelnd.
    »Völlig richtig. Je absurder eine Lüge ist, desto leichter wird sie geglaubt. Wer hat das gesagt? Goebbels!«
     
    Lisa verstand nicht sofort, warum ihr jetzt plötzlich, während sie im Konferenzsaal saß und auf die Plastikmappe starrte, in der zwischen ihren Papieren die Pornofotos lagen, diese lange zurückliegende Sendung wieder einfiel und dieser großartige Schauspieler, dieser Politclown mit seinen gräßlichen Grimassen. Vielleicht einfach deshalb, weil dieser Mann direkte Kontakte zur Unterwelt hatte und ihr der verzweifelte Gedanke kam, seinen Vorschlag anzunehmen und ihn um Hilfe zu bitten. Im übrigen fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren und zu überlegen, was geschehen war und wie sie vorgehen sollte. Die verrücktesten Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum.
    Bin das wirklich ich auf den Fotos? Ich hätte doch etwas merken müssen, müßte mich doch an irgend etwas erinnern können. Wenn es eine tiefe Ohnmacht war,

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