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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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müßte man das der Frau auf den Fotos anmerken.
    Sie stellte sich vor, mit welchem Entzücken die Boulevardpresse – und nicht nur die – über sie herfallen würde, wie ihre Kollegen sie scheel angucken würden, welche Flut von Klatsch und Tratsch über sie hereinbrechen würde. Und selbst wenn sie später beweisen könnte, daß es eine Fälschung war, daß sie bewußtlos gewesen war – die Schande würde für den Rest ihres Lebens an ihr hängenbleiben.
    Wenn Männern derartige Geschichten passieren, ruft das bei vielen Leuten vielleicht nicht gerade Mitgefühl hervor, aber doch immerhin Verständnis. Einer Frau jedoch verzeiht man so etwas nicht. Und wenn vor diesem Hintergrund durch die erhöhte Aufmerksamkeit der Paparazzi womöglich noch ihr tatsächliches Verhältnis bekannt wurde?
    Beim bloßen Gedanken daran schoß Lisa das Blut ins Gesicht. Ach, wie interessant! Unsere brave Beljajewa, die in allen Interviews von ihrer vorbildlichen Familie und ihrer Liebe zu Mann und Kindern erzählt, vergnügt sich heimlichnebenher, und nicht nur mit einem Mann, sondern gleich mit zweien!
    »Je absurder eine Lüge ist, desto leichter wird sie geglaubt.«
    Krassawtschenko hatte richtig kalkuliert. Er ließ sie mit den Aufnahmen allein, in dem riesigen Saal unter den vielen Menschen. Vier Stunden Panik, Ungewißheit. Ringsum Leute, sie konnte diese scheußlichen Bilder nicht herausnehmen und sie genauer betrachten. Man brauchte kein Psychologe zu sein, um sich vorzustellen, welche schreckliche Wirkung Ungewißheit und unklare Drohungen auf einen Menschen haben.
    Sollte sie aufstehen und unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben, hinausgehen? Die Gänge zwischen den Reihen waren so eng wie in einem Kino. In vier Stunden würde sie derart weichgekocht sein, daß sie wirklich spornstreichs in die Bar im elften Stock rennen würde, um so rasch wie möglich zu erfahren, was er von ihr wollte.
    Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten: Geld oder Sendezeit. Wenn er Geld wollte, dann sicher eine enorme Summe, denn wegen ein paar Tausendern lohnte es sich für einen Erpresser kaum, nach Montreal zu fliegen, auf eigene Kosten in diesem Hotel zu wohnen und ein kompliziertes Szenarium aus Beschattung, schmierigen Annäherungsversuchen, heimlichen Fotos und vergiftetem Wein aufzuführen. Viel zuviel Aufwand für eine banale Erpressung. Bei einer so globalen Vorbereitung hatte er bestimmt auch ihre finanziellen Verhältnisse unter die Lupe genommen. Es gab Leute, die bedeutend reicher als die Fernsehmoderatorin Beljajewa waren und um ihren Ruf mindestens genauso besorgt wie sie.
    Also wollte er Sendezeit? Wozu? Vielleicht handelte er ja auch im Auftrag anderer, und hinter ihm standen mächtigere Leute?
    Ihr fiel ein Gespräch ein, das sie kürzlich mit einem General aus dem Innenministerium geführt hatte. Es ging um eine Geiselnahme. Die Tschetschenen hielten drei Offiziere fest und verlangten für sie ein hohes Lösegeld. Sie hatten dem Innenminister ein Videoband geschickt, auf dem die Geiseln zu sehen waren. Sie wurden unter schrecklichen Bedingungen gehalten, einem hackte man vor laufender Kamera einen Finger ab, um der Lösegeldforderung Nachdruck zu verleihen.
    »Ich möchte die Leute, die unsere Offiziere verhöhnen, warnen, wir kennen ihre Namen und auch die Namen und Adressen ihrer Verwandten in Moskau. Wenn es um unsere Kameraden geht, um Offiziere der Miliz, schrecken wir vor nichts zurück«, erklärte der General live im Fernsehen.
    Nachher bemerkte ein gehässiger Kollege bei einer Tasse Kaffee in der Bar: »Große Klasse, wie der General dich für seine Verhandlungen mit den Entführern benutzt hat. Wenn die ihm nun antworten wollen, soll das auch in deiner Sendung geschehen?«
    Die Sendung mit dem General war eine der letzten vor ihrem Abflug nach Kanada gewesen. Sie lag erst eine Woche zurück. Damals, in der Bar von Ostankino, hatte sie die spitze Bemerkung des Kollegen für einen geschmacklosen Witz gehalten, jetzt aber dachte sie: Vielleicht war es eine Anspielung?
    So mache ich mich völlig verrückt, stellte sie nüchtern fest. Wenn ich mir jetzt alle in letzter Zeit geführten Gespräche, jede Sendung, jede zufällige Bemerkung in Erinnerung rufe, finde ich garantiert irgendwelche verborgenen Hinweise und Zusammenhänge. Vermutlich will Krassawtschenko genau das erreichen, er wartet ab, bis ich so fix und fertig bin, daß ich auf alle seine Bedingungen eingehe.
    »Lisa, hören Sie mich?« Die Amerikanerin sah

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