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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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doch Ihren Vater und würden niemals zulassen, daß er Ihretwegen zugrunde geht, und er wird zugrunde gehen, das wissen Sie, Sie wollen jetzt nur nicht daran denken. Sie lassen sich von Emotionen leiten, von irgendeinem idiotischen Heroismus, einer Art Überspanntheit, nur nicht vom gesunden Menschenverstand. Machen Sie, was Sie wollen, ich lasse Sie nicht fort. Das ist so dumm und grausam, Sie würden es sich später selber nicht verzeihen.«
    »Gut«, sagte Sonja langsam, »damit Sie begreifen, daß das keine überspannten Emotionen sind, können Sie den Brief lesen.«
    »Lassen Sie den Lenker los, wir wollen uns setzen.« Der Graf war so erregt, daß er das Blatt kaum aus dem Umschlag ziehen konnte.
    Sie verließen den feuchten Sand und setzten sich ins Gras unter die Birke.
    Der Brief war in einer großen, energischen Handschrift geschrieben. Der Graf begann zu lesen und hielt dabei für alle Fälle Sonjas Hand fest.
    »Papa, verzeih mir und hab keine Angst, mir wird nichts geschehen, ich halte durch, wenn auch nur deshalb, weil ichjetzt nichts mehr fürchte. Vor einer Woche erhielt ich die Nachricht, daß Oberleutnant Danilow von betrunkenen Deserteuren ermordet wurde. Etwas Furchtbareres kann mir jetzt nicht mehr passieren. Junge Männer, solche wie mein Wanja, Leutnants, Kornetts, ganz junge Kerle, liegen in den Hospitälern, verfaulen in den Schützengräben. Ich kann nur weiterleben, wenn ich ihre Leiden lindere. Ich werde für dich und die Oma beten, ich liebe euch sehr, sag ihr nichts davon, denk dir etwas aus. Verzeih mir und versteh mich, wenn du kannst. Deine Sonja.«
    »Sonja … Sonja, mein Kind.« Der Graf steckte den Brief in seine Tasche und küßte rasch ihre zarten, kalten Finger, »Ich begreife alles. Ich lasse Sie selbstverständlich gehen, aber zuerst will ich noch mit Ihnen reden.«
    »Worüber?«
    »War Oberleutnant Danilow Ihr Bräutigam?«
    »Was spielt das noch für eine Rolle?«
    »Dein Vater und ich, wir sind gute Freunde, er hat vor mir keine Geheimnisse. Von einem Bräutigam seiner Tochter hätte er mir bestimmt erzählt. Sie sind ja sein ein und alles, Sonja. Und außer mir hat er niemanden, mit dem er darüber sprechen könnte. Sie waren also mit Oberleutnant Danilow verlobt?«
    »Nein.«
    »Erzählen Sie mir von ihm. Ihr Vater weiß ja gar nichts, und es wäre allzu grausam, wenn Sie ihn verließen, an die Front gingen, und er erführe nicht einmal den Grund.«
    »Iwan Danilow ist der älteste Bruder meiner Freundin vom Gymnasium. Kennengelernt haben wir uns vor einem Jahr, auf einem Wohltätigkeitsball zugunsten notleidender Kinder in Moskau. Wir haben den ganzen Abend zusammen getanzt, und ich habe gemerkt, daß ich ihn liebe. Er hat es noch früher gemerkt, gleich als er mich gesehen hat. Wirhaben uns nur selten getroffen, er mußte gleich wieder an die Front zurück und hat mir von dort geschrieben. Natascha, seine Schwester, hat mir die Briefe übergeben. Einmal ist er auf Urlaub gekommen, nur für vierundzwanzig Stunden. Wir sind den ganzen Tag durch Moskau geschlendert, es war Frost, und wir haben uns in den Konditoreien und Kinos aufgewärmt. Wir haben einander geschworen, daß wir uns nie trennen, und selbst wenn ihm vom Schicksal vorherbestimmt sein sollte zu fallen, würde ich ihm niemals untreu werden und einen anderen heiraten, sondern als Barmherzige Schwester an die Front gehen oder in ein Kloster.«
    »Wie alt war er?« fragte der Graf flüsternd.
    »Zwanzig.«
    »Und er hat Ihren Schwur angenommen?«
    »Ja. Dann ist er weggefahren und hat mir geschrieben, daß nur meine Liebe ihn dort, im Schmutz und Grauen, vor der Kugel, vor dem Wahnsinn, vor dem Trinken rettet. Und jetzt …« – die Tränen, die sich lange in ihrer Kehle gestaut hatten, brachen hervor –, »jetzt ist er gestorben, auf so schreckliche, so erniedrigende Weise. Keine Kugel, keine Bombe, kein Gas, nicht einmal Bajonette haben ihn getötet, sondern die Stiefel einer schmutzigen Horde vertierter Deserteure. Man hat ihn zu Tode getrampelt. Die Deserteure trieben sich unter den Soldaten des Regiments umher, riefen dazu auf, die Offiziere umzubringen, die Waffen wegzuwerfen und sich mit den Deutschen zu verbrüdern. Iwan hat einen von ihnen erwischt, mit einem ganzen Stapel Flugblätter, die Blätter hat er ins Feuer geworfen, den Provokateur mit dem Handschuh ins Gesicht geschlagen und befohlen, ihn auszupeitschen. Abends ist dann die ganze Bande über ihn hergefallen. Alle Hilfe kam zu spät.

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