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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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wohl sehr müde war, weil er eine schwierige, unangenehme und undankbare Arbeit hatte. Er lächelte niemals, und hinter seinem Ernst vermutete sie männliche Geheimnisse und Gefahren, vielleicht sogar Heldentaten. Sie war erst siebzehn und kannte keine anderen Männer.
    Eines Abends hörte sie Gepolter an der Tür, schaute auf die Uhr und dachte, daß Wassili heute wohl früher als gewöhnlich zurückkäme. Sie lief in die Diele. Frida begann leise zu kläffen und mit dem Schwanz zu wedeln. Langsam öffnete sich die Tür. Anstelle von Wassili traten zwei ihr völlig unbekannte Männer in die Wohnung, ein junger und ein etwas älterer. Sie schrie auf, aber mehr aus Überraschung als aus Furcht, denn der Jüngere lächelte und sagte: »Grüß dich, Schöne.«
    »Guten Tag.« Warja streckte die Hand aus und knipste das Licht in der Diele an.
    Frida freute sich über die Gäste, sprang und drehte sich wie ein Kreisel. Sie war noch zu klein, um Freund und Feind unterscheiden zu können.
    Der junge Mann sah normal aus – groß, kräftig, mit einem runden, naiven, gutmütigen Gesicht. Er trug eine teure kanadische Jacke und nagelneue schwarze Jeans. Der ältere erinnerte an eine Vogelscheuche. Klein, hager wie ein Skelett, völlig kahl. Seine Augen waren winzig, und die Jochbögen traten scharf hervor, so daß man meinte, einen Totenschädel mit leeren schwarzen Augenhöhlen vor sich zu haben.
    »Wer bist du? Wie heißt du?« fragte der Kahlköpfige.
    »Warja. Und wer sind Sie?«
    »Kollegen deines Wassili.«
    »Wir waren zusammen bei der Armee«, fügte der Jüngere hinzu und half dem Kahlen aus dem Mantel. »Ich heiße Pjotr Petrowitsch. Du kannst einfach Petja sagen.«
    Der Kahle stellte sich nicht vor. Warja fiel auf, daß er einen ganz neuen und sehr teuren Schaffellmantel anhatte. Darunter trug er einen eleganten, milchkaffeefarbenen Anzug.
    »Wir waren bei Wassili auf dem Revier«, erklärte der Jüngere, »er sagte, er habe noch länger zu tun, und hat uns die Schlüssel gegeben. Du hast doch nichts dagegen, wenn wir hier auf ihn warten?«
    »Kommen Sie doch bitte herein. Möchten Sie Tee?«
    »So ein Angebot lehnen wir nicht ab«, willigte Petja ein und zog seine Jacke aus. »Wo dürfen wir uns hinsetzen? Es sind ja gar keine Möbel da.«
    »Hier in der Küche. Nehmen Sie Platz.«
    Sie setzten sich auf die Hocker, Warja schaltete den Wasserkocher ein, stellte Tassen und eine Zuckerdose auf den Tisch und schaute in den Kühlschrank. Bis auf ein Viertel Roggenbrot, ein vertrocknetes Stück Käse, eine Dose mit Sardinen und eine Tüte Milch für Frida war er leer. Sie holte alles heraus und begann den Käse und das Brot aufzuschneiden.
    »Lebst du schon lange bei Wassili?« fragte der Ältere und fixierte sie mit seinen Stecknadelaugen.
    »Ein halbes Jahr.«
    »Na, und behandelt er dich gut?«
    »Ja.«
    »Und du, was machst du? Arbeitest du, oder gehst du noch zur Schule?«
    »Weder das eine noch das andere.«
    »Was machst du denn den ganzen Tag?«
    »Tja«, sie lächelte, »ich sitze zu Hause. Warte auf Wassili.«
    »Wie hast du ihn denn kennengelernt?« fragte der Kahlkopf.
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Warja verlegen. Sie wollte nicht lügen, aber die Wahrheit mochte sie auch nicht sagen.
    »Das kann er uns gleich selber erzählen«, sagte Petja augenzwinkernd.
    Tatsächlich klickte gerade das Türschloß in der Diele. Warja wollte schon aufspringen, aber der Ältere schüttelte seinen kahlen Kopf und legte den Finger an die Lippen, und Petja war mit einem geräuschlosen Sprung blitzschnell in der Ecke, stellte sich zwischen Wand und Tür und legte ebenfalls den Finger an den Mund.
    Warja nickte und lächelte, im Glauben, die Freunde wollten Wassili überraschen. Aber sobald sie sein Gesicht sah, verschwand ihr Lächeln.
    »Armselig lebst du«, knirschte die Stimme des Kahlköpfigen durch die Stille, »geizig bist du.«
    Wassili blieb wie angewurzelt in der Küchentür stehen. Petja stand hinter ihm und drückte ihm die Pistole ins Genick.
    »Pnyrja, sag deinem Gorilla, er soll die Knarre wegnehmen. So kann ich nicht mit euch reden.«
    »Und wieso glaubst du, daß wir mit dir reden wollen?« fragte der Kahle mit spöttischem Grinsen.
    »Weil wir das bis jetzt noch immer getan haben. Zugegeben, durch Mittelsmänner«, erwiderte Wassili mit seltsam hoher, fremder Stimme.
    »Auf den Boden«, kommandierte Petja.
    »Wie bitte?«
    »Na, Stühle gibt’s hier ja nicht«, erläuterte Pnyrja, »also mußt du

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