Russische Orchidee
Reinheit.« Fjodor Udalzow, Professor für Mineralogie, ein älterer Mann, war so aufgeregt, daß es ihn nicht an seinem Platz hielt, er lief in seinem kleinen, vollgequalmten Arbeitszimmer auf und ab. »Er gilt seit 1917 als spurlos verschwunden. Aber de facto hat ihn bereits seit 1880 niemand mehr gesehen, seit der Zeit, als der bekannte Moskauer Juwelier Le Villon ihn im Auftrag der Besitzerin, der Gräfin Olga Paurier, geschliffen und in eine ungewöhnlich schöne Brosche eingesetzt hat. Sehen Sie, hier.« Udalzow zog den gewichtigen Band irgendeines Nachschlagewerkes hervorund schlug ihn an einer Stelle mit eingehefteten Farbtafeln auf. »Die Fotografien sind schlecht, schwarzweiße, die 1880 gemacht wurden, aber hier sehen Sie farbige Zeichnungen.«
»Und was ist mit dem Huhn?« wollte der Hauptmann wissen.
»Auch diese Geschichte ist belegt.« Udalzow griff in eins der oberen Regale und holte ein zerfleddertes Bändchen heraus. »Das hier sind die Tagebücher des Mineralogen Schmidt. Er hat die Geschichte der ersten russischen Diamantenmine im Ural ausführlich beschrieben. Den allerersten Diamanten hat ein vierzehnjähriger Bauernjunge namens Pawel Popow gefunden, der in der Goldmine in Krestodwishenskoje arbeitete. Das geschah 1829 und ist nicht nur von Schmidt genau geschildert worden, sondern auch von dem berühmten deutschen Gelehrten Alexander von Humboldt, der damals gerade eine Reise durch Sibirien und den Ural machte. Die Geschichte mit dem Huhn findet man allerdings nur bei Schmidt. Hühner picken ja bekanntlich sehr gern Steine auf, auch große. Übrigens, der beste Spezialist für historische Edelsteine ist Pawel Malzew. Er hat bei uns am Institut gearbeitet, allerdings schon vor ziemlich langer Zeit, danach war er als Dozent irgendwo im Ausland, in Dänemark oder Holland, glaube ich. Soviel ich weiß, unterrichtet er jetzt an einer Privatschule hier in Moskau.«
Der Hauptmann schrieb sich für alle Fälle Name und Telefonnummer von Malzew in sein Notizbuch, obwohl seiner Ansicht nach Professor Udalzow genügend wußte, um Borodins Neugier zu stillen. Außerdem hatte diese romantische Geschichte von dem Diamanten im Eierkörbchen zu ihrem Fall, dem Mord an Butejko, ja nur eine sehr weitläufige Beziehung.
»Wieviel ist der Stein etwa wert?« fragte Kossizki.
»Der Geldwert solcher Kristalle ist sehr relativ und kann nur annähernd bestimmt werden. Aber wenn man seine einzigartige Geschichte berücksichtigt und den Wert der Juweliersarbeit, den Namen Le Villons … Nein, eine konkrete Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Ich denke, bei einer internationalen Auktion würde der Ausgangspreis der Brosche mit dem ›Pawel‹ bei mindestens fünfhunderttausend Dollar liegen. Übrigens würden sich auch bei einem Ausgangspreis von einer Million Interessenten finden.«
Der Hauptmann stieß einen leisen Pfiff aus und betrachtete die Abbildung genauer. Tatsächlich, sehr schön. Solche Schmuckstücke hatte er bisher nur im Museum gesehen, unter Panzerglas und auf schwarzem Samt.
»Hat die Brosche auch mal irgendwer getragen?«
»Nein. Die Gräfin Paurier hat die Brosche in Auftrag gegeben, als sie schon eine sehr alte Dame war, und hat sie ihrem Urenkel vermacht, dem Grafen Michail Paurier. Der Graf war keine bedeutende Persönlichkeit, man findet in keinem Lexikon etwas über ihn. Ich kann Ihnen nur eins sagen: Höchstwahrscheinlich hat er die Brosche weder verkauft noch verschenkt, sonst wäre irgend etwas darüber bekannt geworden. Es ist ein zu auffälliger Stein, und die Welt der Juweliere und Sammler ist recht klein.«
»Sagen Sie, wenn heute jemand die Brosche mit dem ›Pawel‹ finden würde, könnte er sie verkaufen?«
»Heute ist das wahrscheinlich möglich. In sowjetischer Zeit war es so gut wie ausgeschlossen. Grundsätzlich muß ich Ihnen sagen, junger Mann, daß man mit solchen Sachen sehr vorsichtig sein sollte. Wertvolle Steine werden öfter gestohlen als gekauft, ihretwegen werden viele schändliche und gemeine Taten begangen, Lüge, Verrat, Mord. Der Wunsch, ein solches Kleinod zu besitzen, kann einen um den Verstand bringen. Wenn Sie also einen Mordfall untersuchen,könnte die Brosche mit dem ›Pawel‹ durchaus das Motiv sein. Suchen Sie die Brosche, und Sie werden auf den Mörder stoßen.«
Kapitel 31
Sonja Baturina führte ein Tagebuch, und besonders viele Seiten darin waren dem Sommer des Jahres 1917 gewidmet, dem letzten russischen Sommer, der still und weich war, mit einem
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