Russische Orchidee
solche Angst vor ihr?
Er traf Borodin bei der Lektüre eines zerfledderten englischen Büchleins an.
»Setz dich, Hauptmann. Möchtest du Tee?«
»Wenn’s auch Piroggen dazu gibt, gern. Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
»Ja, dann setz dich besser noch nicht, sondern geh dir die Hände waschen, und stell den Wasserkocher an. Alles, was du brauchst, findest du in der Kommode.«
Kossizki kannte Borodin seit fünf Jahren, sie hatten schon oft zusammengearbeitet. Borodin bot ihm immer Tee an,aber noch nie hatte er ihn gebeten, den Tee selbst zu kochen. Das Teetrinken war für ihn nämlich fast so etwas wie eine heilige Zeremonie. Teebeutel lehnte er strikt ab und sagte, man könne unmöglich einen »Papieraufguß« trinken. Sorgfältig goß er kochendes Wasser in das Porzellankännchen mit dem Tee, bedeckte es dann mit einem Leinentuch, ließ den Aufguß zehn Minuten ziehen, goß anschließend ein wenig davon ins Glas, dann wieder zurück in die Kanne, und das dreimal. Diese Prozedur hieß »den Tee verheiraten«.
Viele lachten über ihn, aber seinen Tee und seine Piroggen lehnte niemand ab.
»Was lesen Sie denn da so Spannendes, daß Sie diese heilige Handlung mir anvertrauen?« fragte Iwan, als er mit sauberen Händen und gefülltem Wasserkocher ins Büro zurückkam.
»George Smith, ›Historische Edelsteine‹«, brummte Borodin, ohne den Kopf zu heben. »Eine detaillierte Geschichte verschwundener Diamanten und des Schicksals ihrer Besitzer. Vergiß nicht, den Tee zu verheiraten.«
»Und steht dort auch etwas über diesen ›Pawel‹, den ein Huhn gelegt haben soll?«
»Selbstverständlich!« Borodin klappte das Buch zu. »Sowohl über den Stein wie auch über den Grafen Michail Paurier, seinen letzten Besitzer. Na los, Iwan, erzähle, was gibt es für Neuigkeiten?«
Der Hauptmann berichtete ausführlich über seine Telefonate mit dem Ehepaar Butejko und dem Arzt Peremyschlew.
»Sehr interessant«, brummte Borodin, »gut möglich, daß der Mineralogieprofessor recht hat, wenn er sagt, wir sollen die Brosche suchen und werden den Mörder finden. Vielleicht finden wir nicht gleich den Mörder des Journalisten, aber dafür einen anderen, was auch nicht übel wäre. Wir müssen zu Butejko fahren, wir beide. Du brichst jetzt sofort auf, und ichkomme etwas später nach. Warte so lange vor dem Haus, bis Butejko herauskommt, um spazierenzugehen. Rasch, iß noch eine Pirogge, nimm die lange hier, mit Kohl.«
»Sind Sie denn sicher, daß er herauskommt?«
»Sicher bin ich nicht. Aber der Versuch lohnt.«
Er nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
»Guten Tag, Jelena Petrowna. Hier spricht Untersuchungsführer Borodin. Wie geht es Ihnen? Und wie ist das Befinden Ihres Gatten? Ich habe vor, ihn in den nächsten Tagen im Krankenhaus zu besuchen. Ja, natürlich … Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, wenn ich kurz bei Ihnen vorbeischaue, nur zehn Minuten, und mir die Kassetten hole, wie verabredet. Ja? Haben Sie vielen Dank … nein, nein, keine Fragen …. Nur die Kassetten. Punkt vier bin ich bei Ihnen. Ich störe Sie bestimmt nicht länger als zehn Minuten. Danke.«
Er legte auf, nahm einen Schluck Tee, lehnte sich zurück und schaute Kossizki nachdenklich an.
»Eins kann ich nicht begreifen. Wie konnte es passieren, daß ein Kind eine so kostbare Sache mit in die Schule bringt?«
»Wovon reden Sie, Ilja Nikititsch?«
»Von der Orchideenbrosche. Weißt du, wer mir zum ersten Mal die Geschichte von dem diamantenlegenden Huhn aus dem Ural erzählt hat? Anissimow. Er ist ja mit Butejko zusammen zur Schule gegangen. Jelena Butejko ist eine schlaue Frau, aber sie hat schwache Nerven … Also, machen wir’s so. Viertel vor vier wird Butejko aus dem Haus kommen, um frische Luft zu schnappen. Seine Frau wird sich irgend etwas ausdenken, um ihn für die Dauer meines Besuchs aus der Wohnung zu schaffen, zumal ich ja versprochen habe, sie nicht länger als zehn Minuten aufzuhalten. Du mußt ihn vor dem Haus abfangen.«
»Hat sie denn geglaubt, Sie wüßten noch nicht, daß er nicht mehr im Krankenhaus ist?« fragte Kossizki erstaunt.
»Ja, das hat sie glatt geschluckt.«
»Aber ihr muß doch klar sein, daß Sie es sehr bald erfahren.«
»Natürlich. Aber je später ich Ihren Mann treffe, desto besser für sie. Was meinst du wohl, warum sie ihn so überstürzt aus dem Krankenhaus geholt hat?«
»Damit er in Zukunft nur noch in ihrem Beisein verhört wird.«
»Nicht nur das. Sie wird ihn
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