Russische Orchidee
Tränen kommen würden.
»Hat es mit uns zu tun?«
»Ich kann darüber nicht am Telefon sprechen. Ich bitte dich nur, komm nicht zum Flughafen.«
»Wenn die Erpressung mit uns zusammenhängt, dann ist alles ganz einfach. Du triffst endlich eine Entscheidung und brauchst in Zukunft nichts mehr zu verheimlichen.«
Lieber Himmel, dachte sie, er hat nie eine richtige Familiegehabt, er weiß nicht, was es heißt, etwas zu zerstören, was sich in langen Jahren aufgebaut hat.
»Juri, wir wollen das nicht am Telefon erörtern.«
»Du weißt, ich möchte nur eins, daß du bei mir bleibst. Ob mit den Kindern oder ohne, ist nicht wichtig.«
Das ist es ja eben, dir ist es nicht wichtig, ob die Kinder bei dir sind oder nicht. Es sind ja nicht deine …
»Du weißt, ich werde so lange warten wie nötig und akzeptiere deine Entscheidung, egal, wie sie ausfällt. Aber ich merke natürlich, wie schwer es für dich ist.«
Wärest du etwas weniger verständnisvoll, wäre es für mich bedeutend leichter.
»Juri, ich verspreche dir, zwei Tage nach meiner Rückkehr werden wir uns treffen. Ich fahre nach der Nachtsendung zu dir, wie immer.«
Hauptsache, ich schaffe es, überzeugend zu lügen und dabei Michail und den Kindern in die Augen zu sehen.
Die Lügen, die sie würde erzählen müssen, belasteten sie weit mehr als die Erpressungsversuche Krassawtschenkos. Als sie den Hörer aufgelegt hatte, stand sie einige Minuten reglos und starrte stumpf auf die Türme der Kathedrale. Vielleicht sollte sie diese ganze Geschichte mit Krassawtschenko gar nicht so ernst nehmen? Ja, sie war widerlich bis zum Kotzen, aber eigentlich nicht so schlimm. Es würden sich Möglichkeiten finden, ihn zu überlisten, ihm mit einem klugen Schachzug den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch hier, wo es um wirkliche Gefühle ging, mußte sie eine klare Entscheidung treffen, und die würde weh tun. Da konnte sie niemanden überlisten und sich nichts im voraus zurechtlegen.
Lisa holte ihren Koffer, begann ihre Sachen zu packen und dachte dabei, daß sie zu wenig Geschenke für die Kinder und ihren Mann hätte. Für Juri hatte sie überhaupt nichts. Zeitzum Einkaufen war keine mehr, sie würde alles beim Umsteigen auf dem Frankfurter Flughafen zum doppelten Preis erwerben müssen.
In dem Regal, in dem ihre Unterwäsche lag, entdeckte sie ein Polaroidfoto, eins von denen, die im Rotlichtviertel gemacht worden waren.
Sie betrachtete es in aller Ruhe und stellte fest, daß ihr Gesicht nicht einfach nur erschrocken aussah, sondern einen fast schon panischen Ekel ausdrückte. Jeder normale Mensch konnte erkennen, daß man sie in eine Falle gelockt hatte und daß sie keineswegs freudig erregt war. Aber wenn die Bilder erst einmal veröffentlicht waren, würde sowieso jeder das darin sehen, was er sehen wollte.
Der Rest des Tages verging wie im Fluge. Die letzte Sitzung, der feierliche Abschluß der Konferenz, das Festessen. Sie ertappte sich laufend dabei, daß sie sich nervös umblickte. Das fiel auch Carrie auf.
»Ich glaube, Ihr Krassawtschenko ist verschwunden«, sagte sie, als sie sich bei dem feierlichen Bankett im Hotelrestaurant neben Lisa niederließ. »Ich muß mich entschuldigen.«
»Wofür denn, Carrie?«
»Für meine dumme Frage, ob Sie mit ihm eine Affäre hätten.«
»Unsinn, Carrie. Vergessen wir den Kerl einfach. Probieren Sie den Lachs, er ist ganz hervorragend.«
»Ja, sie bereiten ihn hier auf besondere Weise zu, grillen ihn auf Holzkohle.«
Vor dem Abflug am nächsten Morgen mußte Lisa die Rechnung für die Benutzung der Minibar bezahlen. Die Flasche Weißwein kostete dreißig Dollar, und noch einmal bedachte sie Krassawtschenko im stillen mit einem unfreundlichen Ausdruck.
In Frankfurt mußte Lisa viereinhalb Stunden auf den Anschlußflug nach Moskau warten. Auf diesem großen internationalen Flughafen drängte sich ein so buntgemischtes Völkchen, daß man mindestens eine Stunde damit verbringen konnte, einfach nur die Menschen zu beobachten. Arabische Familien, angeführt von einem dicken Papa, hinter ihm eine ganze Brut großäugiger Kinder und bis zu den Augen verschleierte Frauen verschiedener Altersstufen. Eine ältere Frau, eine mittlere, eine junge. Chassidim mit langen Schläfenlocken, runden Hüten, schwarzen Anzügen. Indianer in bunten Filzjacken und Stiefeln mit Sporen, daneben Hindus in langen, grellfarbigen Gewändern. Männer mit schweren Turbanen, Frauen mit locker umgelegten, glänzenden Kopftüchern,
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