Russische Orchidee
Sie schön, klug und erfolgreich sind, obwohl auch das wichtig ist. Sie strahlen eine gesunde Energie aus. Licht und Wärme. Wissen Sie, es gibt Menschen, die saugen dem Gesprächspartner alle Energie aus, und es gibt andere, die geben ihre Energie großzügig weiter. Sie gehören zu letzteren. Sie verströmen Energie. Hat Ihnen das noch niemand gesagt?«
Na, mein Junge, jetzt trägst du aber reichlich dick auf, dachte Lisa vergnügt, jetzt gehst du aufs Ganze. Langsam wüßte ich gern, was du eigentlich wirklich von mir willst.
»Danke. Mir werden so selten Komplimente gemacht.«
»Das ist kein Kompliment. Eher eine Warnung.«
»Warum?«
»Wenn Sie Energie verströmen, verlieren Sie selber welche. Sie müssen sich irgendwie regenerieren, sich neu aufladen. Das kann man auf verschiedene Weise: mit Musik, frischer Luft, Sport, Sex.«
Geschmackloser Idiot, dachte Lisa müde.
»Übrigens, was Ihr Privatleben, Sport, Musik und sonstige Zerstreuungen betrifft«, fuhr Krassawtschenko fort, »ein guter Bekannter von mir, Korrespondent der holländischen Zeitschrift ›Volksgarden‹, hat mich gebeten, Sie wegen eines Interviews anzusprechen. Es ist ein älterer, sehr kultivierter Herr, sein Name ist David Bart. Er wird Ihre Zeit nicht länger als eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.«
»Sehr interessant.« Lisa lächelte gezwungen. »Warum kommt er nicht einfach in der Pause zu mir ins Foyer? Ich gebe ja ständig Interviews.«
»Sie geben Antworten auf Fragen, die mit der Konferenz zu tun haben, aber er möchte sich mit Ihnen über andere Dinge unterhalten. Sie interessieren ihn als Mensch, als Frau, wenn Sie so wollen …«
»Und wenn ich nicht will?«
Lisa begann dieser zweideutige, anzügliche Tonfall ernstlich auf die Nerven zu gehen.
»Entschuldigen Sie, ich habe mich wohl etwas ungeschickt ausgedrückt. Also, kurz gesagt, mein Holländer möchte gern ein freundschaftliches, vertrauliches Gespräch. Leider hat er keine Akkreditierung. Und Sie wissen ja selber, wie scharf die Sicherheitsvorkehrungen wegen all dieser Serben und Araber sind.«
»Ich beantworte keine Fragen über mein Privatleben«, sagte Lisa rasch.
»Wie schade, jetzt machen Sie ein ganz anderes Gesicht.« Krassawtschenko seufzte tief auf. »Eben strahlten Sie noch Wärme und Licht aus, und jetzt … Brrr, wie kalt, Eis in den Augen und Eis in der Stimme. Hat ein Journalist Sie mal beleidigt?«
Sie schwieg eine Weile und brach dann plötzlich in fröhliches Gelächter aus.
»Haben Sie das wirklich nötig, Anatoli Grigorjewitsch?«
Was wollte dieser Diplomat mit dem Gummigesicht von ihr? Sie hatte absolut keine Angst vor einem Interview. Eins mehr oder weniger – darauf kam’s nicht an.
»Dürfte ich mir eine Zigarette von ihnen nehmen? Ich versuche gerade, mir das Rauchen abzugewöhnen, meine eigenen sind alle, und sehen Sie, schon schnorre ich.« Er lächelte, aber seine Augen blickten lauernd und stechend.
Noch ist nicht raus, wer in diesem Gespräch wen aushorcht, dachte Lisa, jetzt, mein Herr, gebe ich Ihnen gleich die Chance, elegant das Thema zu wechseln. Mal sehen, ob Sie sich darauf einlassen.
»Bitte.« Sie reichte ihm ihre Zigaretten. »Allerdings wird es Ihnen so nie gelingen, mit dem Rauchen aufzuhören. Bald wird es Ihnen peinlich werden, fremde Zigaretten zu schnorren, und Sie werden sich wieder selbst welche kaufen.«
»Glauben Sie?«
»Mir ist es auch so gegangen. Mit dem Rauchen aufhören kann man erst, wenn man sich klargemacht hat, daß es noch schädlicher ist, als fettes Fleisch, Makkaroni mit Ketchup, Hamburger und Würstchen zu essen, das alles mit Bier und Coca-Cola herunterzuspülen und obendrein noch Autoabgase einzuatmen.«
»Ah, jetzt begreife ich. Sie sehen so gut aus, weil Sie sich gesund ernähren?«
»Genau«, nickte Lisa. »Aber ich rauche und atme Autoabgase ein.«
»Schade, daß jetzt nicht David Bart mit seinem Aufnahmegerät bei uns sitzt. Er will mich morgen früh anrufen, und ich weiß immer noch nicht, was ich ihm sagen soll.«
»Sie haben mir bisher nicht erklärt, warum Ihnen so viel an diesem Interview liegt«, erinnerte ihn Lisa. »Ist er ein besonders guter Freund von Ihnen? Oder hat er Ihnen dafür seinerseits einen Gefallen versprochen?«
»Sie sind wirklich eine harte Nuß«, brummte Krassawtschenko. »Nein, David Bart ist weder ein Freund von mir, noch erwarte ich irgendwelche Gegenleistungen von ihm. Ich habe ihm einfach versprochen, Sie zu überreden. Vielleicht war das
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