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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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etwas voreilig von mir.«
    »Das war es wohl.« Lisa stand auf. »Ich denke, wir müssen jetzt zurück ins Hotel, Anatoli Grigorjewitsch.«
    »Schade. Sehr schade. Tja, ich muß mich wohl damit abfinden. Es ist Ihr gutes Recht, ein Interview abzulehnen.«
    Als er ihr in den Mantel half, streifte er wie unbeabsichtigt mit der Wange über ihr Haar.
     
    »Ich will eine Blutanalyse! Man hat mir irgendwas eingeflößt! Ich habe niemanden umgebracht, das will man mir unterschieben! Ich muß meine Frau anrufen!«
    Während das Milizauto Sanja zum Revier fuhr, brüllte er hartnäckig immer wieder die gleichen Sätze, wie ein Verrückter auf einer Versammlung, bekam jedoch keine Antwort außer: »Halt die Klappe, schrei hier nicht rum!«
    Darauf flüsterte er resigniert und kaum hörbar, als würde er beten, daß ihm laut Gesetz ein Anwalt zustehe, daß er gar nicht schießen könne, und selbst wenn er es könnte, er sei ja nicht bei Bewußtsein gewesen, und überhaupt habe er keine Ahnung, wie er in dieses fremde Haus gelangt sei. Er erinnere sich nicht einmal an die genaue Adresse des Ermordeten, sein Notizbuch habe er nicht bei sich gehabt, und wo zum Teufel hätte er wohl mitten in der Nacht hinwollen können außer nach Hause?
    Das widerlichste war, er konnte sich tatsächlich an nichts erinnern. Der ganze gestrige Tag war in quälendem, undurchdringlichem Nebel versunken. Einige Einzelheiten des Vormittags tauchten noch bruchstückhaft daraus hervor, aber der Abend war ihm vollständig abhanden gekommen. Er konnte sich darauf besinnen, daß er vormittags mit Wowa Muchin telefoniert hatte, daß es ein seltsames, unerwartetes, wichtiges Gespräch gewesen war und sich irgendwie auf den Abend bezogen hatte, aber worüber sie gesprochen hatten, war ihm komplett entfallen, und mit den weiteren Ereignissen wollte sich das Gespräch auch nicht in Zusammenhang bringen lassen. Er versuchte, in Gedanken den ganzen gestrigen Tag zurekonstruieren, Stunde für Stunde, und vermochte es nicht. Er geriet in Panik, klebriger Schweiß brach ihm aus. Die Ereignisse in seinem Kopf verwirrten sich immer mehr.
    Zunächst brachte man ihn auf das Milizrevier des Bezirks und sperrte ihn dort in den sogenannten »Affenkäfig«, eine einsehbare, vergitterte Zelle für vorläufig Festgenommene. Seine Mitinsassen waren mit Drogen vollgepumpte, undisziplinierte Halbwüchsige, ein stilles Pennerpärchen und ein tobsüchtiger älterer Mann, der wegen Vergewaltigung eines zehnjährigen Mädchens verhaftet worden war.
    Sanja verkroch sich in eine Ecke. Er sah, wie auf den Köpfen der beiden Penner die Läuse krabbelten, sah die schrecklichen trüben Augen des Vergewaltigers, hörte das träge Fluchen der Jugendlichen. All das hinderte ihn daran, sich zu konzentrieren und sich zu vergegenwärtigen, was tatsächlich geschehen war. Er stellte sich vor, wie Natascha jetzt kopflos in der Wohnung herumlief, und bei diesem Gedanken krampfte sich ihm das Herz schmerzhaft zusammen. Sicher telefonierte sie bereits alle Krankenhäuser ab, man gab ihr immer neue Telefonnummern, wo sie sich erkundigen sollte, sie konnte gar nicht so schnell mitschreiben, weil ihr die Hände zitterten und die Tränen in den Augen standen. Nur gut, wenn Dimytsch schlief.
    Die Zeit verging. Niemand beachtete Sanja. Er begriff, daß seine Chancen, hier heil herauszukommen, mit jeder Minute schwanden. In seinem Kopf herrschte totale Leere. Das letzte, was ihm vom Beginn des vergangenen Abends noch in Erinnerung war, waren auf dem Fußboden verstreute Dollarscheine. Aber wo er sie gesehen hatte, wem das Geld gehört hatte und mit wem er dort gewesen war, hatte er vergessen.
    Eine Horde billiger Prostituierter stürmte herein. Durchgefroren, mit verschmiertem Make-up, lachten sie laut kreischend, kokettierten mit den Milizionären und führten sichauf, als seien sie auf dem Revier zu Hause und als sei ihre Festnahme nur eine günstige Gelegenheit, sich aufzuwärmen und ein bißchen auszuruhen.
    »Was guckst du so traurig, Süßer?« sprach ihn eine mollige Rothaarige in grünen Ledershorts und zerrissenen schwarzen Strümpfen an und blinzelte ihm zu.
    Er mußte daran denken, wie er diese verfrorenen billigen Nutten mit einer Mischung aus Mitleid und Ekel aus dem Autofenster heraus angeschaut hatte, wenn er spätabends über die Twerskaja oder den Gartenring gefahren war, wie herablassend er sich über ihre geradezu soldatische Ausdauer gewundert hatte. Schließlich standen sie dort bei

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