Russische Orchidee
seien, von der Köchin bis zum Verwalter, und daß nur ihre Wachsamkeit das Gut vor dem Ruin bewahre.
Unter größten Vorsichtsmaßnahmen legte sich der Graf eine Geliebte in Gestalt einer adretten jungen Deutschen namens Gretchen zu, die in einer Konditorei arbeitete. Er mietete für sie eine kleine Wohnung an der Pretschistenka und vergnügte sich dort mit ihr still und heimlich zweimal in der Woche. Aber bald begann die Deutsche ihn zu langweilen. Nach einem Monat trat an die Stelle der Konditorin eine dramatische Schauspielerin mit feuerrotem Haar, Margarita. Der Graf entflammte ernstlich für sie, ihre schmalen weißen Hände, ihr zartes Profil und ihre durchsichtigen grünen Augen brachten ihn fast um den Verstand, was in seiner Situation ein sträflicher Leichtsinn war. Immer öfter traf der Graf in der Wohnung an der Pretschistenka ungebetene Gäste an – verkannte Genies, Dichter, Maler, Schauspieler. Margarita ruhte in einem mit grünen Lilien verzierten schwarzen Überwurf malerisch ausgestreckt auf einer Chaiselongue, rauchte, rezitierte mit singendem Tonfall, die smaragdfarbenen Augen halb geschlossen, Verse der gerade in Mode gekommenen Symbolisten, während ihre Gäste es sich auf dem Fußboden bequem machten, süßen Likör und Wodka tranken.
Michail Paurier pflegte sein Geld, auch das in der eigenen Brieftasche, nicht ständig nachzuzählen, aber bei aller Zerstreutheit fiel es ihm doch irgendwann auf, daß nach jedemzärtlichen Beisammensein in seiner Brieftasche einige große Geldscheine weniger steckten.
Eines Tages fand er in der Toilette eine Schachtel mit einer Spritze und ein leeres Morphiumfläschchen.
Sich von der schönen Schauspielerin zu trennen erwies sich als nicht so einfach, sie wußte, wie sehr er ein Bekanntwerden seiner Liaison fürchtete, und er sah sich gezwungen, ihr Schweigen mit einer soliden Geldsumme zu belohnen.
Der Graf beschloß, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und bevor die Französin Claire, eine Modistin, die Wohnung an der Pretschistenka bezog, setzte er alle Bedingungen ihrer heimlichen Liebe fest. Trotz ihrer erst achtzehn Jahre und ihrer rätselhaften schwarzen Augen war Claire eine sehr vernünftige und praktische junge Dame. Mit ihr konnte man sich über alles verständigen. Sie bevorzugte Geschenke in Geldform und legte sich ein Bankkonto zu, erfüllte aber auch ehrlich ihre eigenen Verpflichtungen. Der Graf fand, etwas Besseres werde er in der nächsten Zeit wohl kaum finden, die Ruhe und die garantierte Diskretion entschädigten ihn zum Teil für die fehlende Leidenschaft.
An einem düsteren Oktoberabend lag er einmal im Morgenrock auf der Chaiselongue des schmucken kleinen Salons an der Pretschistenka. Er rauchte seine Pfeife und blätterte träge in einem Gedichtbändchen von Balmont. Mademoiselle kämmte sich ihre kastanienbraunen Locken und erzählte dem Grafen fröhlich zwitschernd den Inhalt des neuesten Films mit Vera Cholodnaja. Da klingelte es an der Tür, Claire ging, immer noch weiterschwatzend, in die Diele.
»O merci! Wie schön!« hörte der Graf ihre freudig-erstaunte Stimme. »Einen Augenblick, bitte.«
Sie kam in den Salon geflattert, lief auf die Chaiselongue zu und gab dem Grafen einen Kuß auf die Wange.
»Mon cher, draußen steht der Bote aus dem Blumenladenmit einem ganzen Korb weißer Chrysanthemen, meinen Lieblingsblumen. Man muß ihm ein Trinkgeld geben. Ach, mon ami, wie reizend von dir, du hast meinen Geburtstag nicht vergessen!«
Der Graf hörte zum ersten Mal etwas von Claires Geburtstag und hatte überhaupt keine Chrysanthemen bestellt, doch vorsichtshalber ließ er sich sein Erstaunen nicht anmerken. Sie küßte ihn noch einmal, diesmal auf den Mund, und in diesem Moment war ein leichtes Hüsteln zu hören.
»Was möchten Sie, mein Lieber?« Der Graf schob Claire ein wenig beiseite und erblickte in der Tür des Wohnzimmers einen breitschultrigen, grinsenden langen Lulatsch, den er sofort erkannte. Es war Andrjucha, der persönliche Chauffeur des Kaufmanns Tichon Boljakin.
»Haben Sie die Güte, sich anzuziehen, Euer Erlaucht. Tichon Tichonowitsch hat angeordnet, Sie zu ihm in sein Kontor zu bringen«, sagte der Chauffeur, ohne jemanden anzusehen. »Ich bitte um Verzeihung, Mademoiselle.« Er legte auf militärische Weise die Hand an die Mütze, drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
»Du wirst morgen deinen Abschied einreichen und nach Boljakino übersiedeln«, teilte ihm sein Schwiegervater mit, ohne ihn
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