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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sie im Hörer. »Sie sind heute in der Debatte mit Ihrem Vortrag an der Reihe …«
    O du lieber Himmel, ich habe verschlafen! Wie konnte das nur passieren? Die Sitzung hat um neun angefangen, jetzt ist gerade Pause …
    »Ja, entschuldigen Sie, ich fühle mich nicht besonders«, antwortete sie mit schwacher Stimme.
    »Was ist passiert? Brauchen Sie einen Arzt?«
    »Nein, danke. Wahrscheinlich ist es nur eine Erkältung. In einer halben Stunde komme ich nach unten in den Konferenzsaal.«
    Sofort bereute Lisa ihr Versprechen. Sie fühlte sich tatsächlich ganz entsetzlich. Nicht nur der Kopf tat ihr weh, sondern der ganze Körper, als hätte man sie in der Nacht verprügelt. Unter der heißen Dusche wurde ihr etwas besser. Sie erinnerte sich deutlich daran, daß Krassawtschenko bei ihr im Zimmer gewesen war, und zwar ohne daß sie ihn hineingebetenhätte. Er war unter irgendeinem läppischen Vorwand erschienen, irgendwas im Zusammenhang mit Juwelen oder Schmuck. Er hatte sich für ihre Ohrringe und ihren Ring interessiert und etwas von Tierkreiszeichen geschwafelt.
    Als sie in den Spiegel schaute, stellte sie fest, daß sie furchtbar aussah. Die Haare struppig, das Gesicht bleich und verquollen, unter den Augen graue Tränensäcke. Die Ohrringe waren noch in den Ohren und der Ring am Finger.
    Natürlich, was auch sonst? dachte sie. Dieser Krassawtschenko ist ein widerlicher Flegel, aber kein Dieb. Immerhin ist er Mitarbeiter beim Außenministerium und offizieller Teilnehmer der Konferenz.
    Doch da wurde ihr mit einem unangenehmen Kältegefühl im Magen plötzlich bewußt, daß Krassawtschenko sich zwar die ganze Zeit im Hotel, im Foyer, in den Bars herumgetrieben hatte und ihr ständig unter die Augen gekommen war, daß sie ihn aber kein einziges Mal im Konferenzsaal gesehen hatte.
    »Wer hat uns bekannt gemacht?« murmelte Lisa vor sich hin. »Eigentlich niemand! Niemand hat uns bekannt gemacht. Er ist selbst auf mich zugekommen, als ich an der Obstbar im sechsten Stock gefrühstückt habe, hat sich vorgestellt, und natürlich ist es mir nicht in den Sinn gekommen nachzuprüfen, ob er wirklich der ist, für den er sich ausgibt. Hier machen sich Dutzende von Leuten selbst miteinander bekannt. In all diesen Tagen habe ich nicht ein einziges Mal gesehen, daß er sich mit einem der anderen Konferenzteilnehmer unterhalten hätte. Seinen Namen und daß er beim Außenministerium arbeitet, weiß ich nur von ihm selbst. Was will er überhaupt von mir?«
    Das unklare Gefühl des Widerwillens verdichtete sich, konkrete Einzelheiten fielen ihr ein. In der Nacht hatte esein ausgesprochen obszönes Gespräch gegeben. Zuerst hatte Krassawtschenko sich dreist und plump an sie herangemacht, und dann hatte sich herausgestellt, daß er sie im Rotlichtviertel vor dem Hintergrund von Porno-Reklamen und Prostituierten beiderlei Geschlechts fotografiert hatte. Er hatte ihr die Aufnahmen gezeigt und versucht, sie zu erpressen. Und was war dann geschehen? Sie hatte ihn aus dem Zimmer gewiesen. Aber er war nicht gegangen. Warum?
    Je deutlicher ihr dieses Gespräch wieder in Erinnerung kam, desto kälter wurde es Lisa unter der heißen Dusche.
    Er weiß es! schoß es ihr durch den Kopf. Ich bin verloren, er weiß alles.
    Sie rubbelte sich mit dem warmen Handtuch ab, bis sie ganz rot war, fönte sich die Haare, zog sich an, schminkte sich rasch und steckte die noch feuchten Haare hastig auf. Die Kopfschmerzen wollten nicht nachlassen. Lisa leerte den Inhalt ihrer Handtasche auf dem Couchtisch aus. Auf dem Boden der Tasche lag eine Packung Analgin mit Chinin.
    »Medikamente«, murmelte sie, während sie die Packung aufriß, »Gift, Gegengift …«
    Wir haben Wein getrunken. Halt, wo sind denn die Gläser? Ja, natürlich, er hat alles weggeräumt und mitgenommen, auch die Flasche. Er hat nachdrücklich darauf bestanden, daß wir etwas trinken, erinnerte sich Lisa plötzlich, richtig, ich trinke ja überhaupt nicht, und dann noch in der Gesellschaft von Krassawtschenko, nachts allein mit ihm, hätte ich es freiwillig auf keinen Fall getan. Aber für ihn war das unbedingt nötig, damit er mir ein Präparat in den Wein schütten konnte, das … Das was? Den Willen schwächt? Die Erinnerung auslöscht? So komplett, daß ich nicht mehr weiß, ob ich meine Jeans selber ausgezogen habe oder ob das Krassawtschenko getan hat? Vielleicht hat er mich sogar vergewaltigt, und ich weiß nichts mehr davon? Ich muß sofortAnzeige bei der Polizei erstatten. Aber

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