Russische Volksmaerchen
kam, wo ihn sein Schiff erwartete, bestieg er es mit der schönen Königin Truda, entließ die Heer-Abtheilungen und segelte ab. Sobald er in sein Reich zurückkam, wurde er mit Kanonenschüssen begrüßt, und Zar Chotei kam aus seinem Gemach und nahm ihn und die schöne Königin Truda bei den weißen Händen, führte sie in die weißsteinernen Zimmer, setzte sie an die Tische, und sie aßen und tranken und belustigten sich an verschiedener Kurzweil. Und Sila Zarewitsch lebte bei seinem Vater zwei Jahre. Alsdann fuhr er in das Reich seines Schwiegervaters, des Königs Salom, erhielt von ihm die Krone, und fing an, in diesem Königreiche zu herrschen mit der schönen Königin Truda in großer Liebe und Freundschaft.
17. Märchen von dem berühmten und starken Ritter Jeruslan Lasarewitsch, von seiner Tapferkeit, und der unvergleichlichen Schönheit der Prinzeß Anastasia Worcholomejewna.
In einem Reiche lebte ein Zar, namens Kartaus. Dieser Zar Kartaus hatte zwölf Ritter, und über diese Ritter hatte der Zar einen Aufseher, den Fürsten Lasar Lasarewitsch, mit seiner Fürstin Epistimia. Dieser Fürst Lasar lebte siebenzig Jahre und hatte kein einziges Kind, und sie fingen an, mit Thränen zu Gott zu flehen, ihnen ein Kind zu geben, in ihren späteren Jahren zur Wonne, und nach dem Tode zum Seelengedächtnis. Und Gott erhörte ihr Flehen, und die Fürstin Epistimia fühlte sich schwanger. Als die Zeit der Entbindung kam, genas sie eines Söhnleins, und Fürst Lasar Lasarewitsch gab ihm den Namen Jeruslan. Von Angesicht war er roth, hatte blondes Haar und helle Augen. Fürst Lasar Lasarewitsch und die Fürstin Epistimia waren sehr darüber erfreut, und veranstalteten ein großes Fest. Als Jeruslan Lasarewitsch ein Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, fing er an, auf den zarischen Hof zu gehen, und mit den Kindern der Fürsten und Bojaren zu spielen. Da begannen die Fürsten und Bojaren über ihn Rath zu halten, gingen zu dem Zaren Kartaus, und sprachen folgende Worte: »Unser Herr Zar Kartaus, beweise uns deine zarische Gnade: du hast einen Aufseher, den Fürsten Lasar Lasarewitsch. Derselbe hat einen Sohn, Jeruslan Lasarewitsch, welcher auf deinen zarischen Hof kommt, und mit unsern und den Bojaren-Kindern spielt; aber seine Spiele sind nicht gut, denn wen er beim Kopfe nimmt, dem fällt der Kopf ab, und wen er bei der Hand faßt, dem fällt die Hand ab, und wir haben davon großen Kummer. Herr, beweise uns deine zarische Gnade und schicke Jeruslan aus deinem Reiche oder gib uns den Abschied, denn leben können wir mit Jeruslan nicht.«
Zar Kartaus schickte sogleich nach seinem Aufseher, dem Fürsten Lasar Lasarewitsch, und ließ ihm befehlen, er solle schnell vor ihm erscheinen. Da kam Fürst Lasar zum Zaren Kartaus, und der Zar kam ihm entgegen in die Mitte des Hofes. Aber Fürst Lasar Lasarewitsch stieg vom Pferde und sprach: »Viele Jahre Wohlergehen, Herr Zar! Wie hat Gott deiner wahrgenommen, mein Gebieter? Warum hast du, o Herr, mich zu dir kommen lassen?« Sogleich antwortete ihm der Zar Kartaus: »Mein Herr Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, ich habe nach dir deßhalb geschickt und dir befohlen, schnell zu kommen, weil Fürsten, Bojaren und mächtige Ritter zu mir kamen, und deinen Sohn Jeruslan Lasarewitsch anklagten, daß er zu mir auf den zarischen Hof gehe, und mit den Kindern der Fürsten und Bojaren spiele, aber wen er beim Kopf nehme, dem falle der Kopf ab, und wen er bei der Hand fasse, dem falle die Hand ab, und solche Späße gefallen mir nicht. Dein Sohn ist mir im Reiche nicht nöthig, und ich werde meine Leute seinetwegen nicht fortschicken.«
Als Fürst Lasar Lasarewitsch diese Worte vom Zaren gehört hatte, ritt er traurig von ihm fort, und ließ seinen Kopf niedriger hängen, als die Schultern. Jeruslan kam seinem Vater entgegen, und neigte sich vor ihm mit dem Angesicht bis zur Erde: »Viele Jahre Wohlergehen, mein Herr Vater! Wie hat Gott deiner wahrgenommen, Herr? Warum reitest du so betrübt, o Herr? Hast du vom Zaren ein kränkendes Wort vernommen?« Sein Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, antwortete ihm: »Mein liebes Kind Jeruslan Lasarewitsch, ich habe ein kränkendes Wort vom Zaren vernommen. Andere Kinder dienen ihrem Vater von Jugend an zur Freude, im Alter zur Unterstützung, und nach dem Tode zum Seelengedächtnisse. Du aber, mein Söhnlein, dienst nicht von Jugend an zur Unterstützung, nicht nach dem Tode zum Seelengedächtnisse: du gehst auf den Hof des Zaren,
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