Russisches Abendmahl
mich mürrisch an. »Es kann klappen.« Er zeigt mit der Messerspitze auf mein Gesicht. »Aber dazu braucht es dein Köpfchen.«
»Das glaube ich nicht. Abgesehen davon ist Gromow für so etwas nicht der Richtige.«
»Erzähl mir von Leningrad.«
Die Tatsache, dass Maxim plötzlich das Thema wechselt, bedeutet nicht, dass ich zum letzten Mal vom Schah-Diamanten gehört habe. Ich gehe im Kopf die Chancen durch, eine Lüge zu überleben. Komme zu dem Schluss, dass sie nicht gut stehen und dass, was immer der große Azeri über die Gründe für meine Reise nach St. Petersburg weiß, es ausreichen dürfte, mich dranzukriegen, sollte ich versuchen, ihm etwas vorzumachen. Ich erzähle ihm von der Eremitage und der Leda und von Lipman.
Maxims zufriedenes Grunzen lässt darauf schließen, dass es eine gute Entscheidung war, ihm die Wahrheit zu sagen. Das Messer blitzt kurz in seiner gigantischen Pranke auf und ist gleich darauf verschwunden. »Dein Plan ist derselbe wie der von Gromow«, sagt er. »Ein anderer Gegenstand, ein anderer Ort, aber im Grunde dasselbe.«
»Mit dem Unterschied, dass ich das Bild rausbekomme.«
»Dann erzähl mir wie.«
Nach ein paar unruhigen Stunden Schlaf treffe ich Valja bei einem Eisverkäufer unter der hohen, gewölbten Decke des GUM Kaufhauses, eines langen, dreistöckigen Gebäudes am Roten Platz. Ich erzähle ihr von meinem Treffen mit Maxim, unserem neuen unfreiwilligen Partner, während wir durch Geschäfte mit amerikanischen und europäischen Produkten von Nike, Versace, Dior, Levi’s und unzähligen anderen laufen. Das einzig Russische, was man kaufen kann, ist Ramsch - falsche Ikonen, maschinengemalte Bilder der Basilius-Kathedrale und der Kremlkuppeln, schlecht gearbeitete Matroschkas. Russland hat die Handelskriege ebenso sicher verloren wie es in seinen Eroberungskriegen geschlagen wurde.
»Er kümmert sich um den Verkauf«, erzähle ich ihr.
»Und wir bekommen zwei seiner Männer, ob es uns gefällt oder nicht.«
»Wen?«
»Kamil und Tarik. Brüder. Kleinkriminelle. Ich kenn sie nur dem Namen nach.«
Sie leckt an einem Erdbeereis, das gut zur Farbe ihrer Lippen passt. »Hast du ihm alles erzählt?«
»Das meiste. Das zweite Boot und den Wagen habe ich weggelassen. Wenn wir sie brauchen, spielt das keine Rolle mehr.«
»Was ist mit dem General?«
»Den sehe ich heute Abend.«
Moskau ist eine Stadt voller unterirdischer Flüsse. An den meisten davon liegen Verbindungsgänge, die von Service-Personal benutzt werden und - in Zeiten des Unterweltkapitalismus fast in gleichem Maße -, um illegale oder unversteuerte Waren zu schmuggeln. Ein nicht ganz so geheimer unterirdischer Gang erstreckt sich von unterhalb des Tainizkaja-Turms im Kreml bis hin zum Ufer der Moskwa. Andere, die in verschiedenen Jahrhunderten aufgrund von Kriegen, Intrigen oder Handelsbeziehungen gebaut wurden, sind nur wenigen Auserwählten bekannt. Der, den ich heute Abend aufsuche und der aus mehreren Tunneln besteht, die zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden, wird von der Polizei und dem Militär im Kreml frequentiert.
Streng blickende, grün uniformierte Soldaten, angeführt von einem schmächtigen Hauptmann mit durchgedrückten Schultern und einem buschigen Schnurrbart, geleiten mich unter dem Fluss durch zu schmaleren Tunneln unterhalb des Kremlkomplexes. Zwei verschiedene Durchgänge führen ins Innere des Waffenarsenals, dem Sitz der Kremlwache. Handgeschlagene Steinstufen leiten uns tiefer hinunter, bis der Offizier an der Spitze unserer Karawane an eine verwitterte Eichentür klopft und wir in einen Raum mit triefenden Steinmauern gelassen werden.
Der General sitzt hinter einem grauen Stahltisch. Als ich vor ihm stehe, durchdringt das frostig grüne Leuchten seiner Augen die Dunkelheit. Ich bin unbewaffnet. Ich friere. Mir wird schmerzlich bewusst, wie schnell ich hier verschwinden könnte, für immer verschollen unter Flussgeröll und eisigem Leugnen.
»Wegtreten«, sagt er.
Die Stimme des Generals gibt seinen malachitgrünen Augen einen weichen Anstrich. Der Hauptmann zieht knirschend die Tür hinter sich zu. Ich stehe immer noch stramm. Den General muss ich anders behandeln als Maxim. Das ist das erste Mal seit Monaten, dass ich ihn sehe, deswegen kann ich seine Laune schlecht einschätzen.
»Alexei Volkowoj.«
Er liest aus einem braunen Ordner mit schwarzem Einband. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, und der General nimmt allmählich schärfere Konturen an. Man
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