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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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mag es nicht, wie er von dem Bild spricht. Es besudelt seine Schönheit. »Bleibt bei mir.«
    Sein Blick brennt sich in meinen. Die Brüder sind Haut und Knochen, schwarze, unrasierte hohle Wangen und tief in den Höhlen liegende Augen. Ich habe sie Störsuppe essen gesehen, vor weniger als einer Stunde, aber sie sehen immer noch verhungert aus. Der Hunger steckt ihnen in den Genen. Valja huscht schattengleich zur Seite, im Zweifelsfall haben wir sie jetzt im Kreuzfeuer.
    »Maxim hat gesagt, wir können euch trauen«, sagt Kamil, der zum ersten Mal seit Stunden den Mund aufmacht. »Aber wenn ihr uns verarscht, töten wir euch beide.«
    Manchmal vergesse ich, dass Valja in einer besseren Welt gerade mal die Schule beendet hätte. Unklugerweise schaltet sie sich ein. »Das wird nicht so einfach sein.«
    Kamil wirft ihr einen eiskalten Blick zu. »Dich werde ich sehr langsam töten, Verräterin.«
    Sie ist kurz davor, sich auf ihn zu stürzen. Ich kenne sie so gut, wie man nur jemanden kennen kann, und ich sehe die rasende Wut, bevor die anderen sie sehen. »Stopp!« Alle außer Valja drehen sich nach mir um. Sie ist immer noch unentschieden. Ich richte mich an die Brüder. »Kann sein, dass ihr uns egal seid, aber Maxim ist unser Partner. Das reicht.«
    »Wir kennen dich, Volkowoj«, sagt Kamil. »Aus Tschetschenien. Du tötest aus der Ferne, oder im Dunkeln. Wenn du dich gegen uns wendest, mache ich dich zum Gejagten, so wie ich es damals hätte tun sollen.«
    Es trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Die beiden sind tschetschenische Separatisten. Veteranen des schlimmsten Guerillakrieges, den man sich vorstellen kann. Das erklärt, warum Kamil Valja als Verräterin beschimpfte. Warum hat Maxim uns zusammengebracht? Er kennt diesen Teil meiner Geschichte, genauso wie er weiß, dass Valja in Tschetschenien aufgewachsen ist.
    Ich lasse Kamils Provokation unbeantwortet verpuffen.
    »Was ist mit dem Plan?«, frage ich.
    Tarik und Kamil tauschen Blicke aus. »Kann funktionieren«, sagt Tarik.
    Arkadij ist schneeweiß im Gesicht, offensichtlich ist er erschrocken über diesen Ausbruch unterschwelligen Hasses. Er schluckt und nickt.
     
    Nachdem wir uns warm eingepackt haben und getrennt in die neblige Abenddämmerung hinausgegangen sind, kehre ich zurück an meinen Tisch in Vadims Café und kümmere mich ums Geschäft. Die Zahlen stimmen nicht. Ich muss ein Auge auf Nabi haben. Er vergreift sich an den Beständen, da bin ich mir jetzt, wo ich die Bücher durchgehe, sicher. Seine Sucht ist ein Problem, das ich frühestens in einer Woche angehen kann, also schreibe ich eine lange Liste mit Anweisungen für Vadim. Ich überlege kurz, mit Nabi zu reden und ihn an seine Prioritäten zu erinnern, aber dazu ist keine Zeit. Das Problem muss warten.
    Fast ganz unten in meinem Stapel liegt ein unbeschriebener versiegelter Umschlag. Ich breche das Siegel auf. Darin steckt ein Foto, eines von der Art, die sich von selbst entwickeln. Es zeigt ein Motorboot, das eine Wasserfurche hinter sich her zieht. Im Hintergrund ist die Eremitage zu sehen. Ich nehme an, es wurde vom Ufer der Wassilewskij-Insel aus aufgenommen. Und zwar vor zwei Wochen, so viel ist sicher, denn obwohl man aus der Entfernung die Passagiere auf dem Bug kaum erkennen kann, weiß ich, dass es Arkadij, Lipman und ich sind.
    Das Foto ist eine Warnung. Es flattert in meiner Hand, und ich spüre förmlich das tiefe Vibrieren von Maxims knurrender Stimme. Ich weiß alles , scheint es zu sagen.

9
    Es ist fast Mitternacht, als wir die Ausrüstung ins Boot geladen haben. Unter den Bahngleisen am St. Petersburger Obwodni-Kanal sind wir vor Blicken geschützt. Die Mauern links und rechts vom Kanal fangen den kalten Ostwind auf und jagen ihn durch den Spalt.
    Die drei von uns, die in die Eremitage gehen - Tarik, Kamil und ich - tragen schwarze Neoprenanzüge und wasserdichte Rucksäcke. Tarik lädt den Koffer mit dem Einbruchswerkzeug direkt neben dem Heck ab, wo Arkadij in einer schwarzen Öljacke kauert und blass und abwesend aussieht. Ein Tropfen Wasser, vielleicht auch Angstschweiß, zittert auf seiner Nasenspitze. Seine Aufgabe ist es, sobald wir im Wasser sind, das Boot zu einem nahe gelegenen Anleger zu bringen, damit man es nicht in der Nähe der Eremitage sieht. Solange wir drinnen sind, soll er dort warten und uns dann abholen, wenn wir zurückkommen.
    In der Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens werden wir mehrere Zeitfenster von jeweils achtzehn bis

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