Russisches Abendmahl
zwanzig Minuten zwischen den Patrouillen der Polizeiboote haben. Danach wird der Morgenhimmel von einem perlenfarbigen Leuchten durchflutet sein, und wir werden Gefahr laufen, gesehen zu werden. Als die Ausrüstung an Bord ist, zeigen die Leuchtzeiger meiner Uhr in Richtung Norden - Punkt Mitternacht. Zeit loszulegen.
Ich reiße an der Leine, um den Außenborder zu starten. Steuere das Boot am Rand des Kanals entlang zur Newa, halte eine Zeit lang nördlich und folge dann der Biegung des Flusses Richtung Westen, vorbei an den erleuchteten Spitzen des Smolny-Klosters. Es ist eng in dem kleinen Boot, nur sechs Meter vom Bug bis zum Heck, weniger als zwei Meter in der Breite, vier Holzbohlen zum Sitzen.
Zehn Minuten um. Vor mir im Heck verlagert Arkadij kurz sein Gewicht, woraufhin der Kolben seiner Uzi gegen eine Stahlschiene schlägt. Kamil murmelt mit gedämpfter Stimme vom Bug aus einen Fluch, den ich aus fünf Metern Entfernung hören kann, während Tarik nach hinten greift und Arkadij mit einem Ruck die Waffe in den Schoß drückt. Ich drossle das Tempo und horche auf andere Motoren, aber es ist nichts zu hören. Der Fluss ist so gut wie ausgestorben. Die größeren Schiffe, die auf die Ostsee wollen, sind noch nicht da. Die Zugbrücken gehen frühestens in zwei Stunden hoch.
Nach dreizehn Minuten fahren wir unter den Bogenpfeilern der Liteyny-Brücke durch. Eine Yacht schäumt vorbei, in die entgegengesetzte Richtung, und für gerade mal zwanzig Sekunden blenden ihre Turbinen jedes andere Geräusch aus. Fünfzehn Minuten um, alles bestens …
Und dann bohrt sich ein heißer Strahl weißen Lichts in das Boot. Eine Lautsprecherstimme, die wie geschütteltes Metallblech klingt, befiehlt: »Sofort beidrehen!«
Der Fontanka-Kanal ist eine Drehung am Gashebel entfernt. In regelmäßigen Abständen gibt es dort Anlegestellen im Wasser. Wir könnten zu einem von ihnen hinrasen und rausspringen, noch bevor jemand über Funk Hilfe geholt hat, uns in alle Richtungen verteilen und es ein andermal probieren. Das ist das, was ich denke, als ich mich langsam umdrehe und den Hebel umlege - bis plötzlich ein zweites Licht gegen unseren Bug peitscht. Vor uns steht ein weiteres Polizeiboot. Es war schon unwahrscheinlich, dass überhaupt eines auftaucht. Zwei können kein Zufall sein.
Ich würge den Motor ab, hebe die Hände in den Nachthimmel und überlege, wer uns verraten haben könnte. All meine bisherigen Erwägungen bezogen sich auf den Zeitpunkt nach dem Diebstahl, nicht davor, und in keiner von ihnen kam die Polizei vor.
Das erste Polizeiboot liegt vor unserem Bug. Das andere wendet und driftet langsam seitwärts an uns heran. Die öligen Dämpfe des stotternden Motors treiben mir die Tränen in die Augen. Der Steuermann visiert uns aus seinem Ruderhaus an, während sein Kollege vom Deck aus einen Enterhaken auswirft. Meine Mitstreiter drängen sich zusammen, immer in meiner Sichtlinie. Arkadij ist blass wie ein Gespenst und versucht, sein Gesicht vor den sich kreuzenden Lichtstrahlen zu verbergen. Tarik macht es wie ich und streckt die Hände in die Höhe.
Plötzlich zieht Kamil den Lauf seiner Uzi über das Dollbord. Sie spuckt orange-weiße Flammen und stottert eine Naht Löcher in die Breitseite des Polizeiboots, woraufhin Fiberglassplitter und Klumpen blutigen Fleischs durch die Luft fliegen. Sekunden später zerspringt das gläserne Steuerhaus, und das ganze Boot versinkt im Wasser, wie um den Tod des zweiten Polizisten zu bestätigen.
Ich will keinen Schuss riskieren, aus Angst, die anderen zu treffen oder das Boot lahmzulegen. Ich fliege an Arkadij vorbei und bin schon fast bei Kamil, als Tarik sich auf mich stürzt. Am Ende seines nach vorn schwingenden Arms funkelt ein Messer.
Gerade noch rechtzeitig weiche ich aus und ramme ihm mit einem Zähne zerschmetternden Knirschen meinen Schädel in den Unterkiefer. Die Augen nach hinten gerollt klappt er ohnmächtig zusammen. Ich stürme kopfüber nach vorne und schlittere über die Ausrüstung auf das schmale Deck.
Aber ich komme zu spät. Kamil feuert gezielte Salven in das zweite Schiff ab, fachmännisch ins Boot gestemmt, das nach meinem kurzen Kampf mit seinem Bruder heftig schaukelt. Als ich ihn mit einem Schulterwurf zu Boden befördere und ihm den qualmenden Lauf seiner Waffe unters Kinn halte, fängt das zweite Boot an zu schlingern, und ich weiß, dass auch seine Besatzung verloren ist.
Arkadij zieht die Knie an die Brust, schaukelt vor und zurück
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