Russisches Abendmahl
und jammert: »Oh, nein!«
Ich stoße Kamil den Lauf wie eine Zeltstange in das stoppelige Nackenfleisch. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
Er ist ein echter Profi. Er hat die Suchscheinwerfer auf den Booten zerstört. Abgesehen von den glimmenden Lichtern der Stadt, ist alles wieder dunkel. Sekunden sind vergangen, keine Minuten. Kleine Wellen schlagen gegen die durchlöcherten Rümpfe der Polizeiboote und gluckern unter dem hölzernen Boot. Eine Stimme schallt vom Ufer herüber, stellt besorgt Fragen.
Kamils Augen glühen vor Hass. »Ich habe uns gerettet.«
Er ist ein Psychopath, denke ich, unfähig zu verstehen, dass sein Einsatz uns teuer zu stehen kommen wird. Wie soll ich dem General vier tote Bullen erklären?
Arkadij stöhnt. »Um Gottes Willen.«
Ich denke schnell. Wir brauchen eine Stunde drinnen, weniger als zwanzig Minuten auf dem Kanal danach. Das war der ursprüngliche Plan. Aber auf diesem Teil der Newa wird in fünfzehn Minuten, spätestens, die gleißend hell erleuchtete Hölle los sein. Je nachdem, wer uns verraten hat, erwartet uns vielleicht auch ein militärisches Empfangskomitee im Inneren der Eremitage, aber das glaube ich weniger. Die Falle sollte hier zuschnappen, nicht dort.
Ich fühle mich nach Tschetschenien zurückversetzt, in die blutdurchtränkte Pankisi-Schlucht, wo wirklich alles am Arsch war, auf jede nur erdenkliche Weise. Solche Momente haben mich anscheinend immer elektrisiert und das Beste aus mir herausgeholt, oder das Schlechteste, kommt auf die Perspektive an. Verschiedene Möglichkeiten schwirren mir durch den Kopf. Die Aufregung um die vier toten Bullen wird sie ablenken. Und nichts führt so sicher auf die falsche Fährte wie eine Abweichung vom Erwarteten. Wir müssen das unterirdische Labyrinth der Eremitage ja nicht heute Nacht verlassen - wir können auch bis morgen warten. Die Frage ist, ob ich mich auf Arkadij verlassen kann, ob er den geänderten Plan versteht und sich mit Valja in Verbindung setzt?
Die Mündung der Uzi hat eine rosige Blüte an Kamils Hals hinterlassen. Er liegt immer noch auf dem Rücken, auf die Ellbogen gestützt, unentschlossen, wie er auf meinen Angriff reagieren soll, während ich nach achtern jage, um nach unserem schwächsten Glied zu sehen.
»Arkadij!«, sage ich leise aber bestimmt.
Er zuckt zusammen und starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an.
»Könnt ihr noch?«
Arkadij lässt die Kinnlade fallen. Dem komatösen Tarik laufen rote Speichelblasen aus dem Mund. Kamil entblößt seine Reißzähne und nickt.
10
Von der Newa geht ein schmaler Kanal ab und verläuft entlang der Neuen Eremitage. Das Boot können wir auf einen Mauervorsprung, einem ehemaligen Anleger mit einer ein Quadratmeter großen Stufe vor einer Stahltür, ziehen. Kamil und ich legen die Taucherausrüstung an. Tarik wimmert schlaff und halb ohnmächtig. Er ist nicht mehr zu gebrauchen. Der zitternde Arkadij wird ihn mitnehmen müssen. Was bedeutet, dass Kamil das Gitter durchschneidet und wir niemanden haben, der auf den Ausgang aufpasst, während wir in der Eremitage sind.
Nachdem ich meine Ausrüstung angelegt habe, darunter eine Spezialflosse, die dafür sorgt, dass sich meine Prothese nicht löst, gleite ich ins Wasser. Ich tauche vier Meter, halte an und spüre einen Adrenalinstoß. Dort ist das Fallgitter, genau, wie wir gehofft hatten. Auf mein Zeichen taucht Kamil mit der Ausrüstung - Lampe, Schneidbrenner, Sauerstoffregler und Schlauch - ins Wasser und macht sich fünfzehn endlose Minuten lang ans Werk. Der erfahrenere Tarik hätte halb solange gebraucht. Endlich kocht das Wasser um ihn herum weiß leuchtend, und er fängt an, das Eisen zu durchschneiden.
Ich tauche zurück an die Oberfläche, um Arkadij zu instruieren. Als ich fertig bin, schaue ich ihm fest in die Augen. »Hast du das verstanden?«
Er nickt zaghaft.
Ich schnelle halb aus dem Wasser, greife ins Boot und packe ihn an seinem Overall. »Fahr zum Treffpunkt. Erklär Valja, dass wir vierundzwanzig Stunden brauchen. Sie wird wissen, was zu tun ist. Verstehst du, was ich sage?«
Vor Kälte und Angst schlotternd stammelt er: »Ja, Alexei, ich verstehe.«
Ich schiebe das Boot in den Kanal. Am hinteren Ende des Eremitage-Theaters sind die tief hängenden Wolken von unten bunt erleuchtet. Das Gemetzel auf der Newa ist entdeckt worden. Ich rücke meine Brille zurecht und tauche unter.
Ich steuere den grellen Schein von Kamils Taschenlampe an. Fünf Minuten später
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