Russisches Abendmahl
haben, hat Segelohr eine Nummer im Ausland angerufen. Der letzte eingehende Anruf kam zwei Stunden zuvor von derselben Nummer. Ich drücke auf Wahlwiederholung und warte auf die Verbindung.
»Ja?« Ich erkenne Peters mokkaweiche Stimme. Er klingt entspannt.
»Hier ist Volk. Ihr Mann ist tot.«
Schweigen, ich höre ihn atmen. Die Verbindung ist so gut, dass ich das nasse Schnalzen in seinem Mund höre. Ich spüre, wie es in seinem Kopf arbeitet.
»Haben Sie ihn getötet?«, fragt er.
»Nein.«
»Was ist passiert?«
»Wir haben uns eine Galerie angesehen, die der Mafia gehört. Der alten Mafia - den Italienern. Ich dachte, die Leda würde über sie laufen. Ich habe mich geirrt. Die Sache ging schief.«
»Ihre kleine Freundin ist tot, Volk.« Zum ersten Mal fängt seine cremig-weiche Stimme an zu kratzen, wie Metall auf Metall, was meine Ahnung bestätigt, dass sein Interesse in dieser Angelegenheit zutiefst persönlich ist.
»Sie können mich mal.«
Er hat eine andere Antwort erwartet. Ich höre ein langsames rhythmisches Schnalzen. »Wenn das so ist, werde ich sie ganz langsam töten«, sagt er nach kurzem Zögern.
»Dann werden Sie die Leda niemals zu sehen bekommen.«
»Na und?«
Jetzt bin ich so gut wie sicher, dass die Leda zweitrangig für ihn ist, aber ich mache noch einen Test. »Und ich werde Sie töten.«
Er lacht.
Ich spiele meinen letzten Trumpf aus, mit der Gewissheit, dass es ein Ass ist. »Ich töte Sie«, ergänze ich langsam, »nachdem ich Jelena Posnowa getötet habe.«
Es ist, als hätte man ihm einen dieser staubigen Feudel, die vor Maschas Wohnung liegen, in den Mund gestopft. Sein gedämpfter Atem schleppt sich über einen Kontinent und ein Weltmeer. Ich mag es, ihn leiden zu hören.
»Warum sollte mir das etwas ausmachen?«, fragt er mit heiserer, betont gleichgültiger Stimme, aber er hat sich schon verraten, und das weiß er.
»Weil sie Ihre Frau ist, Peter.«
Ein würgendes Gurgeln plätschert durch die Leitung. Er ist von Liebeskummer zerfressen wie von einem Krebs.
»Wo ist sie?«, gelingt es ihm zu sagen.
»Hier. In New York.«
Diesmal interpretiere ich sein Schweigen als Unsicherheit.
»Ich arbeite mit Ihnen zusammen, Peter«, sage ich zu ihm.
»Wie?«
Ich bin benebelt von zu wenig Schlaf und halluziniere wahrscheinlich, als ich mir Valja vorstelle, bleich wie eine ausgeblutete Leiche, wie sie in sich selbst versinkt und aus dieser grausamen, unwürdigen Welt verschwindet. Der rundliche Chirurg in Prag hatte vor Nervenschäden innerhalb weniger Stunden gewarnt, und das ist jetzt fast drei Tage her. Peter ist krank vor Liebe. Ich bin krank vor Angst.
»Geben Sie Valja ihren Fuß wieder.«
»Wie wollen Sie mir meine Frau wiederbringen?«
Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß, vor allem, wenn die Toten vor der Medici Gallery inzwischen die Computer des NSA lahmgelegt haben. Jelena Posnowa zu finden ist eines von vielen Problemen, die wie betrunkene Schmetterlinge um mich herumschwirren. Ich beschließe, sie einen nach dem anderen totzuschlagen und dann zu sehen, was passiert. »Lassen Sie das meine Sorge sein.«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie sie haben«, sagt er und legt auf.
25
Es ist Mitternacht und ich laufe durch die Fünfundfünfzigste Straße und beobachte das goldene Foyer des Peninsula Hotels. Seit drei Stunden warte ich auf Posnowa, Pappalardo oder Lipman. In New Yorks Straßen sieht man mehr Polizisten mit Maschinengewehren als in Moskau. Der tiefere Sinn dieser paramilitärischen Zurschaustellung will mir nicht in den Kopf. Möglicherweise ein Fall von Greshams Gesetz, übertragen auf die Gesellschaft - das Schlechte vertreibt das Gute. Aber egal worauf man es zurückführt, offenbar sind die Amerikaner bereit, für besorgniserregend lange Zeit die Präsenz von bewaffneten Truppen und Raketenwerfern in ihren Städten zu dulden, vielleicht weil sie zu wenig gelitten haben und es ihnen zu lange zu gut ging.
Nachdem er aufgelegt hat, habe ich mehrmals versucht, Peter auf seinem Handy zu erreichen, aber er ging nicht ran. Zu gern würde ich ihm ein paar abgerissene Fetzen seiner Frau schicken, aber ich kann es nicht. Jedenfalls noch nicht. Er hat es drauf ankommen lassen und gewonnen, weil ich Valja nicht aufs Spiel setzen will.
Ich laufe weiter auf und ab, stoße gegen Passanten. Der hell erleuchtete Eingang des Hotels bringt meine Augen zum Tränen. Ein dreifacher Espresso von einem Starbucks um die Ecke hält mich wach, während die Stunden
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