Russisches Abendmahl
weglaufen, wenn sie will. Ich steige aus, lade die Glock durch und gehe auf die Bodyguards zu. Der Erste beugt sich über Segelohr und will ihm den Todesschuss verpassen. Er ist nah genug dran, um mit einer Hand das spritzende Blut abzuwehren. Ich presse ihm den Lauf ins Kreuz und drücke dreimal ab, sodass er rückwärts zusammenklappt. Der Zweite wirbelt herum, gerade rechtzeitig, damit ihm meine vierte Kugel zwischen die Zähne fliegt und ihm den Kopf wegbläst.
Ich trete die Waffen beiseite und knie mich neben Segelohr, der in Blut ertrinkt. Ein feuchter roter Schleier überzieht seine Nase. Seine Augen sind weit aufgerissen vor Angst. Ich schätze, er weiß, dass ich es bin, der sich über ihn beugt, aber selbst wenn nicht, ich bin es ihm schuldig, mich um ihn zu kümmern. Also wiege ich seinen Kopf und führe meinen Mund an eines seiner großen Ohren, um es mit meinem Atem zu wärmen, und halte ihn fest, bis er zu zittern aufhört.
Ich lege seinen Kopf sanft auf den Asphalt, drehe mich herum, um zur Limousine zu sehen. Jelena Posnowa ist abgehauen, sie ist in der Minute verschwunden, in der Segelohr starb.
24
Ich schließe Segelohrs weit aufgerissene Augen. Zwischen den verstümmelten Zähnen klebt rostrotes Blut. Sein schlaffer Kiefer lässt sich nicht mehr schließen.
Das Quietschen bremsender Reifen reißt mich zurück in die Realität. Vor der leeren, offen stehenden Limousine liegen drei Tote über dem Asphalt verstreut. Am Ausgang zur Straße hat sich ein Pulk Menschen angesammelt, deren Stimmen immer lauter werden. Als ein Polizist angelaufen kommt, zeigen sie auf mich. Das Tor zum Brownstone-Gebäude ist immer noch offen und ich vermute, dass Posnowa zurück zu Pappalardo ist und sie gerade besprechen, was sie auf die Fragen der Polizei antworten. In diesem Moment rollt das Gitter runter und schneidet mir einen potentiellen Fluchtweg ab.
Der Schriftsteller Alexander Solschenizyn verglich das sowjetische Rechtssystem einmal mit einem Abwasserkanal, der die Gesellschaft von menschlichem Abschaum befreit. Was ich über das amerikanische Rechtssystem für Ausländer weiß, legt nahe, dass es vermeintlichen menschlichen Müll wie Insekten in Bernstein einschließt, wo er nie wieder herauskommt. Keine Anklagen, keine Verhandlungen, stattdessen auf ewig weggesperrt in Guantanamo oder einem noch geheimeren Ort. Bei der Aussicht auf eine vollgestopfte Gefängniszelle, Tagesrationen und zeitlich festgelegte Latrinenbesuche zieht sich meine Brust zusammen. Es ist höchste Zeit abzuhauen, wenn ich nicht im stickigen Schlund dieses Systems versinken will.
Ein schnelles Abtasten bringt ein Handy in Segelohrs Brusttasche zum Vorschein. Sein Spielzeugrevolver liegt unbenutzt neben ihm. Ich schnappe ihn mir und stopfe ihn zusammen mit dem Handy in meine Jackentasche. Heulende Sirenen und ein auf mich zu eilender New Yorker Polizist sagen mir, dass ich keine Zeit habe, auch noch die toten Bodyguards zu durchsuchen.
Ich sprinte los. Springe über den Maschendrahtzaun am anderen Ende der Gasse, gerade als ein helläugiger Bulle, dessen Mut nur noch von seinem Leichtsinn übertroffen wird, am Draht rüttelt, um mir zu folgen. Er ist fast drüben, die Finger in den Maschen hängt er da wie eine Katze, als ich auf ihn zulaufe und meinen heilen Fuß in den Zaun ramme, dort, wo seine Brust ist. Der Stoß wirbelt ihn vom Zaun, und er landet stöhnend im Dreck. Ich renne so schnell ich kann weiter. Auf der anderen Seite des Zauns führt die Gasse zu einem schmalen Weg hinter einem anderen Brownstone-Haus. Ich biege um die Ecke und werfe die Glock in den vom Wind zusammengefegten Müll an der Mauer. Wegen der Spuren mache ich mir keine Sorgen. Segelohr hat die Waffe besorgt und geladen. Wenn sie zu irgendwem führt, dann zu ihm.
Drei Straßen weiter höre ich auf zu laufen. Ich begebe mich in den Schutz einer belebten Straße irgendwo zwischen Sechzigster und Siebzigster. Das Heulen der Sirenen verebbt in der Ferne. Sekunden später bin ich in die Menge eingetaucht und tief in meine Gedanken versunken.
Weniger als eine Stunde später bin ich zurück in meinem Hotelzimmer. Das Bett ächzt und die Kakerlaken flitzen durch den Raum, als ich mich hinsetze und Segelohrs Handy in Augenschein nehme. Es ist ein Satellitentelefon. Auf einem Zettel, der in der Innenseite des ausklappbaren Hörers klebt, steht auf Kyrillisch die Gebrauchsanweisung getippt. Ich gehe auf die Anrufliste. Früh am Morgen, bevor wir uns getroffen
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