Russisches Abendmahl
sind so weit sensibilisiert, dass ich spüre, wie das Adrenalin durch meine Adern strömt. Und dann noch etwas - ein köstliches Grauen, wie eine exotische Droge.
Ich schließe die Augen, während die Dämonen in meine Seele kriechen, wie ein Tausendfüßler mit Krallen statt Füßen, und mir Hass und Wahnsinn einflüstern, von denen ich glaubte, ich hätte sie für immer in Grosnys ausgebrannten Kellern zurückgelassen.
26
»Peter ist dran.«
Ich halte Segelohrs Handy wie den Kopf einer tödlichen Schlange. Posnowa liegt ausgestreckt auf dem fleckigen, fusseligen Teppich meines Hotelzimmers, eine Kakerlake von vielen. Mein Stiefel drückt auf ihren Hals und hält sie am Boden. Kurze, abgehackte Atemzüge zerraspeln meine Kehle wie Sägeblätter.
»Hier«, sage ich, hebe den Stiefel an und beuge mich runter, um ihr das Telefon vor den Mund zu halten.
»Oh Gott, hilf mir, Peter. Oh, bitte, halte mir diese Bestie vom Leib …«
Als ich den Stiefel wieder runterdrücke, bricht sie gurgelnd ab. Bis ich das Telefon am Ohr habe, atmet er so schwer wie ein Blasebalg.
»Mir gefällt das, Peter«, sage ich durch zusammengebissene Zähne. »In so etwas bin ich gut.«
Sein Schweigen ist die Antwort, die ich hören will. Er hat meine Akte gelesen. Er weiß, dass ich die Wahrheit sage.
»Setzen Sie Valjas Fuß wieder dran. Sehen Sie zu, dass es ihr besser geht.« Posnowas Augen treten hervor. Als ich etwas Druck vom Stiefel nehme, zieht sie pfeifend die Luft ein.
»In Ordnung«, sagt er mit heiserer Stimme.
»Wie lange?«
»Ich weiß nicht. Sechs Stunden, vielleicht länger …«
»Beeilen Sie sich! Rufen Sie mich an, wenn Sie soweit sind.«
»Tun Sie ihr nicht mehr weh.«
Ich lege das Telefon offen auf den Boden neben Posnowa. Presse meine Hand auf ihren Mund, um den drohenden Schrei abzudämpfen. Verdrehe einen Finger ihrer anderen Hand, bis er gut hörbar knackt. Lasse ihre gedämpften Schmerzensschreie als Antwort stehen.
Posnowa bleibt eine Stunde lang bewusstlos. Ich nutze die Zeit und fessle sie mit den Enden ihrer Kleidungsstücke an einen Stuhl. Sie läuft schon blau um die Augen an, wahrscheinlich weil ich ihr Gesicht so stark gegen meine Brust gedrückt habe. Die Pupillen sind vor Schock geweitet. Sie starrt mich an, als wäre ich der Teufel persönlich.
»Erzählen Sie mir von Lipman.«
Als sie die Lippen bewegt, platzen dünne blutige Risse auf. Seit sie in meiner Gewalt ist, hat sie nichts gegessen und nichts getrunken. Ich brauche weder Wasser noch Essen, und ihr Wohlergehen ist mir mehr als egal.
»Ich habe ihn in Zürich kennengelernt. Vor drei Jahren. Kann ich bitte Wasser haben?«
Vielleicht bin ich ein besserer Mensch geworden. Oder die Hoffnung auf Valjas Genesung hat mich weicher gemacht. Früher hätte ich ihr die Zähne eingeschlagen, als kleine Lektion in Sachen Reaktionsfreudigkeit. »Nein. Ich will mehr über Lipman wissen.«
»Ich brauchte Hilfe, um glaubwürdige Provenienzen für gefälschte Kunstwerke, die meist von unbekannten Künstlern stammten, erstellen zu können. Rolf war einverstanden.«
»Leonardo da Vinci ist kein unbekannter Künstler. Und Pissarro auch nicht.«
Ihre Augen sprühen blaue Funken voller Trotz. » Leda und der Schwan ist keine Fälschung!«
In dem Punkt sind wir uns einig. »Wie lange machen Sie das schon?«
»Kunst fälschen?«
Ich nicke.
»Vier Jahre. Die Kommunisten haben private Sammlungen beschlagnahmt - seit der Revolution und durch beide Weltkriege hindurch. Die Herkunft der Werke haben sie dabei oft durcheinandergebracht, teils absichtlich, teils aufgrund schlechter Verwaltung. Und was im Laufe der Zeit an Kunstwerken in die Sowjetunion gekommen ist und sie wieder verlassen hat, ist, nun ja …« Ein Schimmer ihres Magazinlächelns bricht durch den Schmerz und die Angst. Sie zieht eine Augenbraue hoch und benutzt ein Wort, von dem ich mich erinnere, dass Lipman es benutzt hat. »Undurchsichtig.«
Es ist ein Wunder, dass wir uns nicht früher begegnet sind. Der Kader des Generals hat mit Fälschungen angefangen, bevor wir beschlossen, uns auf echte Gemälde zu verlegen, weil wir darin die einzige Möglichkeit sahen, auf lange Sicht Gewinne zu machen. Wir brachten die gesamte russische Kunstgeschichte zur Versteigerung, um ihre Wiedergeburt in Gang zu bringen. Selbst mit Hilfe unserer illegalen Machenschaften blieben die Gewinne lächerlich gering. Wenn man sämtliche Schwarzmarktgewinne in Russland in einen Topf werfen würde, könnte
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