Russisches Abendmahl
Kuwaldin zur Aufbewahrung.
»Ich habe erst später erfahren, dass Sie in die Sache verwickelt waren«, endet er. »Ich habe nur getan, was man mir gesagt hat.«
»Was wer gesagt hat?«
»Meine Bosse in der Partei.«
»Welche Partei?«
»Liberales Russland.«
»Wer sind Ihre Bosse?«, frage ich, obwohl ich es längst weiß.
»Jakowenko und Dudajew. Sie sind inzwischen beide tot. Ich glaube, Maxim hat sie getötet, genau wie er Felix getötet hat.« Er zeigt mit dem Daumen über seine Schulter, in Richtung der glänzenden Kuppel von St. Isaak.
Ich nippe an meinem Tee und setze die einzelnen Teile des Puzzles an ihren Platz. Als ich in die Sache hineingezogen wurde, waren die beiden Politiker und Maxim bereits unabhängig voneinander hinter den Gemälden her. Der General kam zum selben Zeitpunkt dazu wie ich und tat sich, wie ich vermute, nach dem Debakel in der Nacht des Diebstahls mit Maxim zusammen, allerdings weiß ich nicht warum. Peter steckt über Posnowa entweder mit den Politikern oder mit Maxim unter einer Decke. Ich nehme an mit Maxim, weil der den General benutzte, um mich nach Prag zu schicken, wo Peter und Strahow auf mich warteten. All das passt zusammen, abgesehen davon, dass Peter seltsamerweise von Anfang an wenig Interesse an den Bildern zu haben schien.
»Wo hat Felix in seiner Zeit als Hausmeister gewohnt?«, frage ich nach einer Weile.
»In der Kathedrale. Wo genau weiß ich nicht.«
Ich stehe ohne Vorwarnung auf. »Auf Wiedersehen, Leutnant.«
»Volk, warten Sie!«
Ich bleibe stehen.
»Was Sie getan haben, war sehr mutig. Ich konnte mich nie bei Ihnen dafür bedanken. Ich schätze, weil ich wusste, dass was immer ich sage, nicht ausreichen würde.«
Ich hebe meine Hand zum Abschied und gehe. Er hatte die Bilder nur eine Nacht lang, und er wird wahrscheinlich gar nicht gewusst haben, was sie wert sind, also hoffe ich, dass ich ihn nicht aus denselben Gründen umbringen muss, aus denen ich seine beiden Bosse bei der Partei töten sollte.
Ein Portier hält mir die Tür auf, als ich aus dem Hotel in die frühe Nachmittagssonne trete. Auf dem Platz ist mehr los als am Vormittag. Ich ignoriere die Straßenverkäufer mit ihren T-Shirts, Matroschkas, falschem Schmuck, von Häftlingen geschnitzten Schachfiguren und Süßigkeiten. Betrachte das Hauptgebäude und die vier kleineren Türme. Überlege, ob ein sichtbarer Vorsprung ein mögliches Versteck für zwei der wertvollsten Kunstwerke der Welt ist.
Betonstufen führen zu einem Eingang unter riesigen Säulen, die an die verwitterten Stämme uralter Bäume erinnern. Touristen gehen rechts hinein und zahlen einmal, um die Kirche zu besichtigen, und einmal für die mehr als fünfzig Meter hohe äußere Säulengalerie. Die Sonne wird von den Bleiglasfenstern hoch oben in den Steinmauern reflektiert. Von irgendwo auf dem Außengang dieses goldenen Schildkrötenpanzers stieß Maxim den vernarbten Hausmeister hinunter, sicherlich in einem Anfall von Gereiztheit, den er später bereute, denn normalerweise ist Maxim klug genug, seine Informationsquelle erst dann zu töten, wenn er weiß, was er wissen will.
Ich gehe um das Gebäude herum. Vorbei an der Admiralität. Über den Dekabristenplatz mit der berühmten Statue Peters des Großen, dem Bronzenen Reiter, der sich mit Blick auf die Newa über der falschen Schlange erhebt. Und dann zurück auf den Rasen des Isaaksplatzes, dem Geheimnis des Hausmeisters Kuwaldin kein Stück näher.
Ein Wachhäuschen aus Sperrholz steht am östlichen Rand der Kathedrale, bemannt mit gelangweilten Polizisten. Eine in ein Schultertuch gewickelte alte Frau, die die Polizisten nur aus Faulheit nicht wegschicken, sitzt im Schneidersitz auf dem nackten Beton, neben sich einen leeren Korb. Als ich auf meinem Weg um die Kathedrale herum ungefähr eine Stunde später ein zweites Mal an ihr vorbeikomme, werfe ich einen Tausendrubelschein hinein. Ich habe immer noch nichts Interessantes entdeckt. Die Fußgänger sind weniger geworden. Instinktiv drehe ich mich um. Irgendwo hat sich etwas blitzartig bewegt, aber was es auch war, es hat sich im Straßenbild aufgelöst. Ein Eiswagen rollt vorbei. Eine griechische Familie schnattert aufgeregt durcheinander. Ich gehe weiter, lasse den Blick schweifen.
Ein farbiger Lichtstrahl erregt meine Aufmerksamkeit, er ist aber so schnell weg, dass ich kurz glaube, ich hätte ihn mir nur eingebildet. Dann weht der Wind eine Lücke in die raschelnden Büsche, die in einen schmiedeeisernen
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