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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sinnenverwirrende Höschen reizte Momus irgendwie. Darunter konnte nur der Pfeil sein, sonst nichts. Abervielleicht war da kein Pfeil, sondern etwas ganz anderes? Womöglich zeigte der Cupido unter dem leuchtenden Stoff mit pummeligen Fingerchen eine Feige, die als Pfeil gelten sollte?
    Jedenfalls zeichnete sich da etwas ab.
    Momus vergaß die schmerzende Schläfe, setzte sich im Bett auf und starrte auf das Höschen.
    »Kindchen, aufwachen!« Er patschte auf die rosa Schulter. »Papier und Bleistift, hurtig! Wir schreiben eine Bekanntmachung für die Zeitung!«
    Mimi zog, statt zu antworten, die Zudecke über den Kopf. Momus aber sprang aus dem Bett, trat auf etwas Rauhes, Kaltes und brüllte auf vor Entsetzen, denn auf dem Teppich schlummerte, zusammengerollt wie ein Gartenschlauch, die Riesenschlange, die paradiesische Versucherin.

Ein gerissener Halunke
    Seinen Dienst versehen kann man auf ganz verschiedene Weise.
    Zum Beispiel als Polizeiagent – stundenlang in einem stacheligen Gebüsch stehen und im Regen durchweichen, um das zweite Fenster von links im zweiten Stock eines Hauses zu observieren, oder als Glied einer Stafette einem »Objekt« hinterhertrotten, ohne zu wissen, wer der Mann ist, noch was er angestellt hat.
    Oder als Botengänger – mit heraushängender Zunge durch die Stadt hetzen, über der Schulter die Diensttasche voller Briefschaften.
    Oder aber als zeitweiliger Gehilfe des Beamten für Sonderaufträge. In dem Seitenflügel in der Kleinen Nikitskaja hatte er sich gegen zehn einzufinden. Das heißt, er konnte gehen wie ein Mensch, nicht im Schweinsgalopp durch dunkle Gassen, sondern ruhig und würdevoll bei Tageslicht. Anissi bekam auch Geld für eine Droschke, so daß er die Wegstunde hätte sparen und wie ein feiner Herr zum Dienst fahren können. Doch er ging lieber zu Fuß, ein halber Rubel extra war stets willkommen.
    Ihm öffnete der japanische Diener Masa, mit dem sich Anissi ein wenig angefreundet hatte. Masa verbeugte sichund sagte: »Gumon, Tuli-san«, und das bedeutete: »Guten Morgen, Herr Tulpow.« Dem Japaner fiel es schwer, die langen russischen Wörter auszusprechen, und das L und das R gerieten bei ihm oft durcheinander. Aber Anissi haderte deshalb nicht mit Fandorins Kammerdiener, sie verstanden sich gut, und ihre Beziehung war fast verschwörerisch.
    Als erstes berichtete Masa halblaut über den »Zustand der Atmosphäre«, wie Anissi für sich die im Hause herrschende Stimmung nannte. Wenn der Japaner »leise« sagte, war alles friedlich, die schöne Gräfin Addy war in blendender Stimmung aufgewacht, sie trällerte, gurrte mit Fandorin und blickte Tulpow zerstreut, doch wohlwollend an. Dann konnte er getrost in den Salon treten, Masa reichte Kaffee mit Brötchen, der Herr Hofrat plauderte fröhlich und spöttisch, und der geliebte Rosenkranz in seinen Fingern klapperte energisch.
    Flüsterte Masa dagegen »laut«, so mußte Anissi auf Zehenspitzen ins Arbeitszimmer schlüpfen und gleich zur Sache kommen, denn im Hause herrschte Gewitterstimmung. Addy schrie wieder mal schluchzend, sie langweile sich, Fandorin richte sie zugrunde, er habe ihr den Kopf verdreht und sie ihrem Manne entführt, dem würdigsten und edelsten aller Männer. Als ob man dich zu entführen brauchte, dachte Anissi, indes er furchtsam auf das Gekeife lauschte und in Zeitungen blätterte.
    Es war jetzt seine morgendliche Aufgabe, die Moskauer Presse durchzusehen. Eine angenehme Arbeit: mit den duftenden Seiten zu rascheln, den Stadtklatsch zu lesen, die verlockenden Reklamen zu betrachten. Auf dem Tisch lagenscharf gespitzte Buntstifte, ein blauer für gewöhnliche Notizen, ein roter für besondere Bemerkungen. Wirklich, Anissi hatte jetzt ein völlig anderes Leben.
    Die Vergütung für diesen goldwerten Dienst war übrigens doppelt so hoch wie zuvor, und obendrein war er befördert worden. Fandorin hatte ein paar Zeilen an die Verwaltung geschrieben, und schon war Tulpow Anwärter auf die Beamtenklasse. Sobald es eine Vakanz gab, würde er ein Examen ablegen, das nicht der Rede wert war, und fertig – dann wurde der Botengänger zum Beamten, zum Herrn Kollegienregistrator.
    Angefangen hatte das so.
    An dem denkwürdigen Tag, an dem Anissi die weiße Taube sah, war er vom Hause des Generalgouverneurs mit dem Hofrat direkt zu der Notariatskanzlei gefahren, die den Kaufbrief mit der höhnischen Unterschrift beurkundet hatte. Doch hinter der Tür mit dem Messingschildchen Iwan Karlowitsch MÖBIUS

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