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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Hoffnungsloser Fall, also geh zurück zu deinem Botendienst, Tulpow.
    »Ich denke, ja. Die ›Pikbuben‹ sind f-fest von ihrer Unangreifbarkeit überzeugt, und das bedeutet höchstwahrscheinlich, daß sie weitere Streiche vorhaben. Erstens. Sie haben sich ja schon vor der Geschichte mit Lord Pitsbrook zwei höchst freche Gaunerstückchen geleistet. Beide Male haben sie nicht schlecht verdient, und beide Male haben sie ihre ›Visitenkarte‹ hinterlassen, und sie dachten gar nicht daran, Moskau mit ihrer fetten Beute zu verlassen. Weiter … Möchten Sie eine Zigarre?« Der Hofrat klappte ein Ebenholzkästchen auf.
    Anissi rauchte sonst aus Sparsamkeitsgründen nicht, doch jetzt konnte er nicht widerstehen und griff zu, gar zu appetitlich sahen sie aus, die schokoladenbraunen Zigarren mitder rotgoldenen Bauchbinde. Den Hofrat nachahmend, spitzte er die Lippen, entzündete ein Flämmchen und freute sich auf die paradiesische Seligkeit, die eigentlich nur für reiche Herren bestimmt war. Solche Zigarren hatte er auf dem Kusnezki Most gesehen, im Schaufenster des Kolonialwarenladens von Sytschow, anderthalb Rubel das Stück.
    »Der nächste Punkt«, fuhr Fandorin fort. »Die ›Pikbuben‹ wiederholen sich in ihren Methoden. Zweitens. Im Fall des ›Herzogs‹ wie auch des ›Notars‹ nutzten sie das Vertrauen der Menschen in das gedruckte Wort. Nun, bei dem Lord mag das noch angehen. Die Engländer sind es g-gewohnt, alles zu glauben, was ihre ›T-Times‹ druckt. Aber unsere Moskauer Zeitungen sind ja auch köstlich: Sie haben selber mit Getöse die Moskauer über die Ankunft ›Seiner Hoheit‹ informiert und der ganzen Stadt den Kopf verdreht … Tulpow, der Zigarrenrauch wird nicht inhaliert!«
    Zu spät. Anissi hatte einen tüchtigen Zug genommen und die ganze Brust vollgepumpt mit dem bitteren, beißenden Qualm. Das Licht erlosch, das Innere wurde wie von einer Feile aufgerauht, der arme Anissi krümmte sich hustend und keuchend und fühlte, daß er gleich sterben würde.
    Fandorin brachte seinen Gehilfen ins Leben zurück, wozu Wasser aus der Karaffe und kräftige Schläge auf Anissis mageren Rücken beitrugen, dann resümierte er bündig: »Unsere Aufgabe: beide Augen offenhalten.«
    Schon seit einer Woche hielt Tulpow beide Augen offen. Morgens auf dem Weg zu seinem beneidenswerten Dienst kaufte er einen ganzen Satz Zeitungen. Darin unterstrich eralles Bemerkenswerte und Außergewöhnliche, und beim Mittagessen referierte er dem »Chef«.
    Über das Mittagessen sind ein paar Extraworte angebracht. Wenn die Gräfin bei Laune war und zu Tisch kam, wurde erlesen gespeist, Gerichte, die aus einem französischen Restaurant herbeigeschafft wurden: ein »Chaudfroid« aus getrüffelten Schnepfen, Salade romaine, Macédoine in der Zuckermelone und andere kulinarische Wunderwerke, von denen Anissi nie zuvor gehört hatte. Wenn Addy aber in ihrem Boudoir schmollte oder durch die Galanterie- und Parfümeriegeschäfte zog, riß Masa die Küchengewalt an sich, und dann wehte ein gänzlich anderer Wind. Aus dem japanisch-chinesischen Laden auf den Petrowskije-Linien brachte Fandorins Kammerdiener faden Reis, marinierten Rettich, knirschende papierartige Wasserpflanzen und süßen gebratenen Fisch. Der Hofrat verspeiste diesen Schlangenfraß mit sichtlichem Vergnügen, Anissi aber bekam von Masa Tee, frische Kringel und Wurst. Um die Wahrheit zu sagen, diese Mahlzeiten waren Anissi viel lieber, denn in Gegenwart der launischen Schönen fühlte er sich höchlich gehemmt, und die märchenhaften Delikatessen wußte er sowieso nicht recht zu schätzen.
    Fandorin hörte sich die Ergebnisse von Anissis morgendlichen Forschungen aufmerksam an. Den größten Teil davon verwarf er, doch einiges notierte er sich. In der zweiten Tageshälfte trennten sie sich, um zu überprüfen: Anissi die verdächtigen Zeitungsannoncen, der Chef hingegen die bedeutenden Personen, die in Moskau eingetroffen waren (angeblich begrüßte er sie im Namen des Generalgouverneurs).
    Einstweilen lief alles ins Leere, aber Anissi ließ den Kopf nicht hängen. So hätte er ewig dienen mögen.
    Heute morgen hatte Sonja Bauchschmerzen gehabt, wahrscheinlich hatte sie wieder Kalk vom Ofen gekaut, darum war Anissi nicht zum Frühstücken gekommen. Im Seitenflügel bekam er auch keinen Kaffee, denn es war ein »lauter« Tag. Anissi saß mucksmäuschenstill im Arbeitszimmer und blätterte in Zeitungen, und seine Blicke fielen ausgerechnet auf

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