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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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aufbewahrte.
    »Nicht nötig.« Fandorin winkte ab. »Als ob die ›Pikbuben‹ für fünf Rubel auch nur einen Finger rühren würden.«
    Anissi ließ den Kopf hängen. Sein von der Elektrizität gemarterter Körper schmerzte noch immer so sehr, daß er auf dem Stuhl hin und her rutschte, und um den ungünstigen Eindruck seiner Dusseligkeit zu verwischen, erzählte er von der wohltätigen Lotterie mit sofortiger Ziehung.
    »Eine solide Angelegenheit. Mit einem Wort – Europa. Sie haben die Beletage des Vormundschaftsrats der Waisenfürsorge gemietet. Eine Schlange die ganze Treppe herunter, Leute verschiedenen Ranges und Standes, nicht wenig Adlige. Erast Petrowitsch, ich habe vierzig Minuten angestanden, bis ich an der Reihe war. Wir Russen sind ja doch zur Wohltätigkeit geneigt.«
    Fandorin zupfte nachdenklich an seinen Augenbrauen.
    »Sie meinen also, die Sache ist s-sauber? Keine Gaunerei?«
    »Aber nein! An der Tür steht ein Schutzmann mit umgeschnalltem Säbel. Er begrüßt jeden, salutiert. Wenn man reinkommt, ist da ein Schreibpult, dahinter steht ein sehr bescheidenes, nettes Fräulein mit Kneifer, ganz in Schwarz,aber mit weißem Kopftuch, auf der Brust ein Kreuz. Eine Nonne oder Novizin, vielleicht auch bloß eine freiwillige Helferin, das weiß man bei den Ausländern nicht so genau. Sie nimmt das Geld entgegen und fordert einen auf, die Trommel zu drehen. Sie spricht ein fehlerfreies Russisch mit leichtem Akzent. Man dreht selbst und zieht selbst sein Los, alles ganz ehrlich. Die Trommel ist aus Glas, darin sind lauter Papierröllchen, hellblaue für 25 Rubel und rosafarbene für 50 – wer mehr spenden möchte. Ich habe allerdings nicht gesehen, daß jemand eines für 50 nahm. Man öffnet das Los sofort vor aller Augen. Hat man nichts gewonnen, so steht darauf: ›Gott schütze Sie.‹ Da.« Anissi holte ein hübsches hellblaues Papierchen mit Frakturschrift hervor. »Wer aber was gewonnen hat, der geht hinter die Barriere zu einem Tisch, an dem sitzt der Vorsteher der Lotterie, ein repräsentabler älterer Herr mit geistlichem Rang. Er erledigt das mit den Preisen. Wer kein Glück hatte, dem dankt das Fräulein herzlich und heftet ihm eine schöne Papierrose an die Brust, als Zeichen der Barmherzigkeit.«
    Anissi holte die sorgsam verwahrte Rose hervor, mit der er Sonja eine Freude machen wollte.
    Fandorin betrachtete die Rose und schnupperte sogar daran.
    »Riecht nach ›Parmaveilchen‹«, bemerkte er. »Das ist ein teures P-Parfüm. Also ein bescheidenes Fräulein, sagen Sie?«
    »Sehr«, bestätigte Anissi. »Und sie lächelt so schüchtern.«
    »Soso. Und, gibt es auch Gewinne?«
    »Und ob!« rief Anissi lebhaft. »Als ich noch auf derTreppe anstand, kam ein glücklicher Herr heraus, ein Professor wohl, ganz rot im Gesicht. Er schwenkte ein Papier mit Stempeln – hatte ein Landgut in Böhmen gewonnen! Fünfhundert Deßjatinen! Und am Morgen, so wurde erzählt, hatte eine Beamtenwitwe ein Mietshaus mitten in Paris gezogen! Sechs Etagen! So was von Glück! Sie soll ohnmächtig geworden sein, man mußte ihr Riechsalz geben. Nachdem der Professor das Landgut gewonnen hatte, kauften viele gleich zwei oder drei Lose. Bei solchen Gewinnen zahlt man doch gerne fünfundzwanzig Rubel! Ach, wenn ich eigenes Geld dabeigehabt hätte, würde ich auch mein Glück versucht haben.«
    Anissi blickte träumerisch zur Decke und malte sich aus, wie er solch ein Röllchen auffaltete, und da … Was ist das? Na, zum Beispiel ein Chateau am Genfer See (er hatte den berühmten See auf einem Bild gesehen – schön!).
    »Sechs Etagen?« fragte der Hofrat etwas unpassend. »In Paris? Und ein Landgut in B-Böhmen? Soso. Wissen Sie was, Tulpow, lassen Sie uns hinfahren, ich werde auch in Ihrer Lotterie spielen. Schaffen wir’s, bis geschlossen wird?«
    Von wegen kaltblütig! Und er sagt, daß er Spielleidenschaft nicht kennt.
    Sie schafften es gerade noch. Die Schlange auf der Treppe war nicht kürzer geworden, die Lotterie hatte bis halb sechs geöffnet, und fünf war schon vorbei. Die Leute waren nervös. Fandorin stieg langsam die Stufen hinauf, sagte höflich an der Tür: »Erlauben Sie, meine Herren, ich w-will nur schauen.«
    Und was meinen Sie? Er wurde ohne Murren durchgelassen. Mich hätten sie glatt rausgeschmissen, dachte Anissi ehrfurchtsvoll, doch bei dem kommt das keinem in den Sinn.
    Der diensttuende Schutzmann am Eingang, ein straffer junger Mann mit verwegen aufgezwirbeltem rötlichem Schnauz,

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