Russisches Poker
Mischling von großem Wuchs?«
»Aber fünfzig Rubel, Erast Petrowitsch! Für einen Hofhund? Sehr verdächtig!«
»Ach, Tulpow, solche Hunde mit verkrümmter Pfote werden mehr als sch-schöne geliebt. Sie verstehen nichts von Liebe. Weiter.«
Anissi schniefte gekränkt. Und dachte: Als ob Sie viel von Liebe verstehen. Bei Ihnen im Hause wird schon frühmorgens mit den Türen geknallt, und Kaffee gibt’s auch nicht. Er las die letzte Frucht der heutigen Ernte vor: »Männliche Impotenz, Schwäche und Folgeerscheinungen von jugendlichen Lastern heilen wir mit Stromstößen und galvanischen Bädern. Doktor der Medizin Emmanuel Straus.«
»Eindeutig ein Scharlatan«, stimmte Fandorin zu. »Aber ist das nicht eine Nummer zu klein für die ›Pikbuben‹? Sie können ja mal hinfahren und das überprüfen.«
Von seiner Expedition kehrte Anissi in der vierten Nachmittagsstunde zurück, müde und ohne Ertrag, aber in guterStimmung, die ihn schon seit einer Woche nicht verließ. Nun kam der angenehmste Teil der Arbeit – die Bilanz des Tages und die Schlußfolgerungen.
»Ich sehe an dem fehlenden Glanz in Ihren Augen, daß Ihre Netze leer sind«, begrüßte ihn der scharfsinnige Hofrat Fandorin, der auch gerade erst zurückgekehrt war, denn er trug noch seine Montur nebst Orden.
»Und Sie, Chef?« fragte Anissi hoffnungsvoll. »Was ist mit den Generälen? Und dem Schachspieler?«
»Die G-generäle sind echt. Der Schachspieler auch. Wirklich, eine phänomenale Begabung: Er sitzt mit dem Rücken zu den Brettern und macht keine Notizen. Von zehn Partien hat er neun gewonnen und nur eine verloren. Kein schlechtes business, wie die Geschäftswelt heute sagt. Neunhundert Rubel hat Herr Tschigorin kassiert und hundert gezahlt. Reingewinn achthundert, und das in einer guten Stunde.«
»Und gegen wen hat er verloren?« fragte Anissi neugierig.
»Gegen mich«, antwortete der Chef. »Aber das ist unwichtig, es war Zeitverschwendung.«
Schöne Zeitverschwendung! dachte Anissi. Hundert Rubel Gewinn!
Respektvoll fragte er: »Sie spielen gut Schach?«
»M-Miserabel. Zufallsglück.« Fandorin richtete vor dem Spiegel die ohnehin ideal sitzenden Ecken des gestärkten Kragens. »Wissen Sie, Tulpow, ich bin auch eine Art Phänomen. Spielleidenschaft kenne ich nicht, aber ich habe beim Spiel immer phantastisches Glück. Daran bin ich schon gewöhnt und w-wundere mich nicht mehr. Sogar beim Schachspiel.Herr Tschigorin hat die Felder verwechselt und die Dame statt auf f5 auf f6 stellen lassen, direkt vor meinen Turm, und dann war er so wütend, daß er nicht weiterspielen wollte. Trotzdem, zehn Partien blind zu spielen ist extrem schwer. Aber nun erzählen Sie.«
Anissi straffte sich, denn in solchen Momenten fühlte er sich wie beim Examen. Doch es war ein angenehmes Examen, nicht wie in der Schule. Fünfen und Sechsen gab es hier nicht, doch ein Lob für gute Beobachtung oder Einfallsreichtum fiel schon mal ab.
Heute hatte er freilich nichts zum Auftrumpfen. Erstens hatte er ein schlechtes Gewissen, denn er war doch ins Patek-Museum geschlichen und hatte staatliche 3 Rubel verausgabt, um eine halbe Stunde lang die Schimpansin mit Kind zu begaffen (die beiden waren wirklich quicklebendig und lustig, die Reklame hatte nicht gelogen), was für den Fall ohne jeden Nutzen war. Danach war er, nun aus Diensteifer, in die Große Ordynka gefahren und hatte sich von dem bebrillten Herrchen des entlaufenen Mischlings eine herzzerreißende Geschichte anhören müssen.
Von dem elektrischen Doktor Straus mochte Anissi keine Einzelheiten erzählen. Er fing zwar an, verstummte dann aber verlegen. Pflichtgemäß hatte er sich einer peinlichen und ziemlich schmerzhaften Prozedur unterzogen, und noch jetzt stach es ihn in der Leistengegend wie mit Nadeln.
»Dieser Doktor Straus ist ein widerlicher Typ«, stänkerte Anissi. »Sehr verdächtig. Stellt gemeine Fragen.« Und er schloß rachsüchtig: »Den sollte sich die Polizei mal vornehmen.«
Taktvoll fragte Fandorin nicht nach Einzelheiten. Er sagte ernst: »Sehr löblich, daß Sie sich der elektrischen Prozedur unterzogen haben, zumal in Ihrem Fall ›Folgeerscheinungen von jugendlichen Lastern‹ kaum möglich sind. Selbstaufopferung für die Sache verdient jede Anerkennung. Doch ein paar Fragen hätten vollauf genügt. Zum Beispiel, wieviel dieser Doktor für eine Sitzung nimmt.«
»Fünf Rubel. Hier ist die Quittung.« Anissi griff in die Tasche, in der er sein ganzes Rechnungswesen
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