Russisches Poker
Lebensmittelreklamen.
»Das Geschäft von Safatow in der Sretenka hat erstklassiges gesalzenes Rindfleisch hereinbekommen«, las er überflüssigerweise. »16 Kopeken das Pfund, hat die Güte von Schinken höchster Qualität.«
Er konnte es kaum aushalten bis zum Mittagessen. Einen Kringel mampfend, meldete er Fandorin seine heutige Ausbeute.
Neu Zugereiste gab es an diesem Tag, den 11. Februar 1886, nur wenige: fünf Generäle und sieben Zivilisten. Der Chef nahm sich vor, zwei davon zu besuchen: den Kommandeur der Kriegsmarineintendantur, Konteradmiral von Bombe, und den Leiter des staatlichen Rentamtes, Geheimrat Swinjin.
Dann kam Tulpow zum interessanteren Teil: den ungewöhnlichen Annoncen.
»Auf Beschluß der Stadtduma«, las er laut vor, mit vielsagenden Pausen, » werden alle Standinhaber des Städtischen Marktes auf dem Roten Platz zu einer Beratung eingeladen, deren Ziel es ist, eine Aktiengesellschaft für den Umbau desStädtischen Marktes zu einem Emporium mit Glaskuppel zu gründen.«
»Und was daran finden Sie v-verdächtig?« fragte Fandorin.
»Unsinn ist das – wozu braucht eine Getreidehandlung eine Glaskuppel?« bemerkte Anissi vernünftig. »Sie haben doch gesagt, Chef, ich soll auf alle Annoncen achten, die dazu aufrufen, Geld einzuzahlen. Und hier soll eine Aktiengesellschaft gegründet werden. Ob das nicht faul ist?«
»Nein«, beruhigte ihn der Hofrat. »Die Duma hat tatsächlich beschlossen, den Städtischen Markt abzutragen und an seiner Stelle eine überdachte dreigeschossige Galerie in russischem Stil zu e-errichten. Weiter.«
Tulpow legte die verworfene Notiz aus den »Moskauer Stadtnachrichten« beiseite und nahm das »Russische Wort« zur Hand.
»SCHACHTURNIER. Im Sitz der Moskauer Gesellschaft der Schachfreunde findet um 14 Uhr ein Turnier statt: M. I. Tschigorin spielt gegen zehn Gegner. Er spielt à l’aveugle – also ohne das Brett zu sehen und ohne die Züge zu notieren. Der Einsatz – 100 Rubel. Eintritt 2 Rubel. Alle Interessenten sind eingeladen.«
»Ohne das Brett zu sehen?« sagte Fandorin verwundert und machte sich eine Notiz. »Na schön, ich fahre hin und spiele mit.«
Das gab Anissi Auftrieb, er las weiter aus den »Moskauer Polizeinachrichten« vor:
»EINMALIGE IMMOBILIENLOTTERIE. Die internationale evangelische Gesellschaft ›Tränen Jesu‹ veranstaltet zum erstenmal in Moskau eine WOHLTÄTIGE LOTTERIEmit sofortiger Ziehung zugunsten des Baus einer Kapelle für das Grabtuch Christi in Jerusalem. EINMALIG HOHE GEWINNE, gestiftet von Spendern aus ganz Europa: Villen, Mietshäuser, Gebäude in den schönsten europäischen Städten. DER GEWINN WIRD AN ORT UND STELLE ERMITTELT! Ein einfaches Los kostet 25 Rubel. Eilen Sie, die Lotterie bleibt nur EINE WOCHE in Moskau und geht dann nach Sankt Petersburg.«
Fandorin war interessiert.
»Lotterie mit sofortiger Ziehung? Eine sehr produktive Idee. Das wird den Leuten gefallen. Nicht auf die Ziehung warten müssen, sondern das Resultat sofort erfahren. Interessant. Und sieht nicht nach Gaunerei aus. Für einen Betrug die ›Polizeinachrichten‹ zu b-benutzen, das wäre schon tollkühn. Obwohl, von den ›Pikbuben‹ kann man alles erwarten … Fahren Sie mal hin, Tulpow. Hier haben Sie fünfundzwanzig Rubel. Kaufen Sie mir ein Los. Weiter.«
»NEUHEIT! Ich habe die Ehre, das geschätzte Publikum davon zu unterrichten, daß mein Museum gegenüber der Solodownikow-Passage aus London eine quicklebendige und lustige SCHIMPANSIN MIT KIND bekommen hat. Eintritt 3 Rubel. F. Patek.«
»Und was mißfällt Ihnen an der Schimpansin?« fragte der Chef achselzuckend. »Haben Sie gegen sie einen V-Verdacht?«
»Es ist ungewöhnlich«, murmelte Anissi, der, um die Wahrheit zu sagen, schrecklich gern einen Blick auf das »quicklebendige und lustige« Wunderwesen werfen wollte. »Und der Eintritt ist mächtig teuer.«
»Nein, für den ›Pikbuben‹ ist das keine Größenordnung.«Fandorin schüttelte den Kopf. »Und als Affe kann man sich nicht tarnen. Erst recht nicht als Affenkind. Weiter.«
»Am 28. Januar dieses Jahres ist ein HUND ENTLAUFEN, ein Mischlingsrüde, großer Wuchs, hört auf den Namen Hektor, schwarz, das linke Hinterbein verkrümmt, weißer Fleck auf der Brust. Der Finder erhält 50 Rubel Belohnung. Große Ordynka, Haus der Gräfin Tolstaja, nach dem Privatdozenten Andrejew fragen.«
Bei dieser Annonce stieß der Chef einen Seufzer aus.
»Sie sind heute übermütig, Tulpow. Was wollen Sie mit einem
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