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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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überfallen!‹ Der brabbelt was in seiner Sprache. Und Kräfte hat der Satan! Mir hat er einen Zahn ausgeschlagen und Terestschenko den Backenknochen verbogen.«
    »Wo ist die alte Hexe?« Der Hofrat packte den Wachtmeister an den Schultern, und wohl sehr kräftig, denn der wurde kreideweiß.
    »Na, hier irgendwo«, krächzte er. »Wo soll sie schon hin? Erschrocken ist sie, hat sich irgendwo verkrochen. Die findet sich schon wieder. Aber wenn belieben … Tut doch weh!«
    Fandorin und Anissi wechselten wortlos einen Blick.
    »Verfolgen wir ihn?« fragte Anissi bereitwillig und schob die Füße tiefer in die Pantoffeln.
    »Es reicht, wir sind genug gelaufen, haben Herrn Momus erheitert«, antwortete der Hofrat mit erloschener Stimme.
    Er schickte die Gendarmen weg, setzte sich in den Sessel und ließ die Arme hängen. In seinem Gesicht ging eine unbegreifliche Veränderung vor. Auf der glatten Stirn bildete sich eine Querfalte, die Mundwinkel bogen sich abwärts, die Augen blinzelten. Dann bebten die Schultern, und Anissi erschrak heftig – der Chef wollte doch nicht etwa weinen?
    Aber da schlug sich Fandorin aufs Knie und brach in ein lautloses, unaufhaltsames, übermütiges Gelächter aus.

La Grande Opération
    Mit gerafften Röcken hastete Momus an Zäunen und leeren Sommerhäusern entlang in Richtung der Kalugaer Chaussee. Er sah sich immer wieder um – wurde er verfolgt, so mußte er sich in die Büsche schlagen, die gottlob rechts und links der Straße reichlich wuchsen.
    Als er an einem verschneiten Tann vorbeilief, rief ihn ein klägliches Stimmchen an: »Momtschik, endlich! Ich bin halb erfroren!«
    Unter einer ausladenden Tanne lugte Mimi hervor und rieb sich frierend die Hände. Erleichtert setzte er sich auf die Böschung, schöpfte mit der Hand Schnee und legte ihn auf die verschwitzte Stirn. Die verdammte Nase war vollends verrutscht. Momus riß sie ab und warf sie in den Schnee.
    »Uff«, sagte er, »bin lange nicht so gerannt.«
    Mimi setzte sich neben ihn, lehnte den gesenkten Kopf an seine Schulter.
    »Momtschik, ich muß dir was gestehen.«
    »Was denn?« fragte er beunruhigt.
    »Ich kann nichts dafür, Ehrenwort … Na ja … er ist kein Eunuch.«
    »Ich weiß«, knurrte Momus und klopfte wütend Tannennadeln von ihrem Ärmel. »Die beiden waren unser BekannterMonsieur Fandorin und sein Leporello von der Gendarmerie. Die haben mich schön aufs Kreuz gelegt. Erstklassig.«
    »Wirst du dich rächen?« fragte Mimi schüchtern und sah ihn von unten herauf an.
    Momus kratzte sich das Kinn.
    »Ach, zum Teufel mit denen. Wir müssen aus Moskau verschwinden. Schleunigst.«
    Aber aus dem ungastlichen Moskau verschwinden, das ging nicht so schnell, denn am nächsten Tag entstand die Idee einer grandiosen Operation, die Momus auch gleich »La Grande Opération« taufte.
    Die Idee entstand rein zufällig, infolge einer erstaunlichen Verknüpfung von Umständen.
    Sie mußten für ihren Rückzug Vorsichtsmaßnahmen treffen. Im Morgengrauen ging Momus auf den Trödelmarkt und erstand die notwendige Ausstattung für den Gesamtbetrag von drei Rubeln und dreiundsiebzigeinhalb Kopeken. Er entfernte alle Schminke aus dem Gesicht, setzte eine fünfeckige Schirmmütze auf, zog eine Steppjacke und Stiefel mit Galoschen an und verwandelte sich so in einen unauffälligen Kleinbürger. Mit Mimi war es schwieriger, weil die Polizei ihr Äußeres kannte. Nach einigem Überlegen beschloß Momus, einen Jungen aus ihr zu machen. Angetan mit einer Schaffellmütze, einem speckigen Halbpelz und großen Filzstiefeln, war sie nicht mehr zu unterscheiden von den flinken Moskauer Halbwüchsigen, die auf dem Sucharewka-Markt herumflitzten, wo man gut tat, die Hand auf der Hosentasche zu halten.
    Im übrigen verstand sich Mimi nicht schlechter als ein zünftiger Langfinger darauf, anderen die Taschen auszuräumen. Einmal in Samara, als sie völlig auf dem trockenen saßen, hatte sie einem Kaufmann die Uhr aus der Weste gezogen. Die Zwiebel war nichts wert, aber Momus wußte, daß der Kaufmann an ihr hing, weil er sie von seinem Großvater geerbt hatte. Der untröstliche Tit Titytsch setzte für den Finder des Erbstücks eine Belohnung von tausend Rubeln aus und bedankte sich überschwenglich bei dem kleinen Studenten, der die Uhr im Straßengraben gefunden hatte. Für die tausend Rubel eröffnete Momus in der friedlichen Stadt eine chinesische Apotheke und verdiente schönes Geld mit wunderwirkenden Kräutern und Wurzeln gegen alle

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