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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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verständigen, damit er sich mit der Sache befasste, aber das hätte bedeutet, dass er sich über die Befehle des Generals hinwegsetzte, da er seinem Kollegen in diesem Fall hätte erklären müssen, wer Nancy Dolan war und welche Bedeutung sie für den Fall besaß. Natürlich konnte er Semjonow mitnehmen, aber es war zu gefährlich, den jungen Kollegen da mit hineinzuziehen. Für Babel galt das Gleiche. Und Gregorin anzurufen war völlig undenkbar. Womit er auch die Antwort auf Koljas Frage hatte. Seine Loyalität gegenüber dem Staat war nicht grenzenlos. Doch im Grunde war es kein Problem, allein zum Arbat zu gehen. Er konnte sich rasch ein Bild von der Situation machen und dann entscheiden, ob er andere informieren sollte, und wenn ja, wen. Der Arbat war eine sichere Gegend; er konnte sich nicht vorstellen, dass dort etwas passieren würde, womit er nicht zurechtkam. Doch als er die letzten Tage noch einmal Revue passieren ließ, überlegte er es sich anders. Vielleicht sollte er Jasimow anrufen. Zum Glück wohnte er ganz in der Nähe.
    Schwartz riss Koroljow aus seiner Versunkenheit. »Meine Herren, wie wär's mit einem kleinen Umtrunk im Metropol zur Feier des Tages? Um mich nach Art eines Genossen für ein echtes sowjetisches Erlebnis in Ihrer unvergleichlichen Gesellschaft zu bedanken.«
    »Wenn Sie es so formulieren, können wir unmöglich ablehnen«, erwiderte Babel.
    »Ganz Ihrer Meinung, Genosse Babel. Wir sind moralisch verpflichtet, die Einladung zu akzeptieren.« Semjonow setzte ein ansteckendes Lächeln auf.
    So riefen sie auf Schwartz' Drängen hin ein Taxi und fuhren zurück in die Innenstadt. Kurz darauf nahmen sie ihre Plätze an der Bar im Metropol ein und schauten einem Kellner in weißer Jacke zu, der aus einem silbernen Hahn Bier in unglaublich große Gläser zapfte. Hinter ihnen stimmte sich eine Jazzkapelle für den Abend ein.
    Semjonow nickte in Richtung der Musiker. »Die sind nicht schlecht. Das sind Utjosows Leute. Nur er selbst weigert sich, in Hotels zu spielen. Ein echter Künstler, tritt nur in Sälen auf.« Semjonow hob die Hand, um einen der Musiker zu begrüßen. Der Mann grinste ihm erfreut zu, und der Leutnant entschuldigte sich, um ein paar Worte mit seinem Bekannten zu wechseln.
    Koroljow ließ den Blick schweifen. Babel hatte sich auf die Suche nach einer Toilette gemacht. Er war allein mit dem Amerikaner. »Und, Jack, ist das wahr mit der Ikone? Dass es die echte Kasanskaja ist?« Er sprach mit leiser Stimme, so dass die Musik fast alles übertönte und kein Mikrofon etwas aufnehmen konnte.
    »Möglicherweise«, antwortete Schwartz nach kurzem Zögern. »Genaueres weiß ich erst, wenn ich sie sehe, und selbst dann kann ich sie wahrscheinlich nur datieren. Und hoffentlich bestimmen, wo sie gemalt wurde. Das Entscheidende ist die Qualität. Sie müssen wissen, sie wurde von Anfang an kopiert, und zwar millionenfach. Aber wenn die Qualität gut genug ist und ich sie weit zurückdatieren kann, besteht auch eine hohe Chance, dass sie es wirklich ist.«
    »Dann haben Sie die Ikone also immer noch nicht zu Gesicht bekommen?« Koroljow setzte eine ausdruckslose Miene auf, als er den forschenden Blick des Amerikaners bemerkte.
    »Kommen Sie, Alexei Dimitrijewitsch, seien Sie offen mit mir. Was ist los?«
    Koroljow zuckte die Achseln. Er steckte schon so tief in Schwierigkeiten, da spielte eine kleine Indiskretion keine Rolle mehr. Außerdem war er gespannt auf Schwartz' Reaktion. »Soviel ich höre, ist die Ikone wieder verschwunden.«
    Schwartz schien verblüfft. Nach kurzem Zögern grub er einen Zettel aus der Tasche. »Wir haben morgen eine Besichtigung. Der Bevollmächtigte hat angerufen, als ich weg war.«
    Die Art und Weise, wie der Amerikaner das Wort »Bevollmächtigter« aussprach, weckte Koroljows Interesse. »Es ist keiner Ihrer üblichen Ansprechpartner?«
    Schwartz öffnete den Mund, um zu antworten, blieb aber stumm. »Nein«, sagte er schließlich nachdenklich, »keiner der Leute, mit denen ich sonst zu tun habe, sondern ein Stabsoberst des NKWD.
    Normalerweise rede ich mit Offizieren von niedrigerem Rang. Aber sie sind nicht autorisiert, über die Ikone zu verhandeln, was ich verstehen kann.«
    »Ein Stabsoberst?« Koroljow saß plötzlich wie auf Kohlen. Eigentlich wollte er den Namen nicht aussprechen, doch er schien ohne sein Zutun aus ihm herauszuplatzen. »Gregorin? Stabsoberst Gregorin?«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ich bin ihm schon mal begegnet. Ein tüchtiger

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