Russisches Requiem
Mann«, quetschte Koroljow hervor.
»Den Eindruck habe ich auch«, fuhr Schwartz fort. »Auf jeden Fall ist er hart im Verhandeln.«
»Was verlangt er?«
»Eine Million Dollar in bar.«
»Wie viel ist das in Rubel?«, fragte Koroljow.
Schwartz lachte. »Viel. Schrecklich viel.«
23
Ehe Koroljow das Metropol verließ, zeigte er an der Rezeption seinen Ausweis und wählte Jasimows Nummer. Er musste einige Minuten warten, bis sein Kollege sich am Gemeinschaftstelefon meldete. Er willigte ein, als Koroljow ihn bat, sich am üblichen Ort mit ihm auf ein Glas Bier zu treffen, und stellte auch keine Fragen, als er ihn aufforderte, seinen besten Freund mitzubringen. »Der beste Freund eines Kriminalbeamten ist seine Pistole« - so lautete eine stehende Redewendung, die Jasimow mindestens einmal pro Woche benutzte. Und ihr üblicher Treffpunkt nach der Arbeit war der Arbat-Keller, ein Nachtlokal, das nicht weit vom Praga-Kino entfernt lag und um diese Tageszeit sicher leer war. Selbst wenn jemand das Telefongespräch mitgehört hatte, konnte er bestimmt nicht viel damit anfangen.
Koroljow trat hinaus auf den Platz und nahm die Straßenbahn zum Arbat. Unter der Achsel spürte er das beruhigende Gewicht der Walther. Eigentlich war er sich albern dabei vorgekommen, sie ins Fußballstadion mitzunehmen, aber jetzt war er froh. Auf diese Weise hatte er wenigstens die Chance, jedem ein paar Löcher zu verpassen, der aussah, als hätte er das Gleiche mit ihm vor. Mehrere Haltestellen zu früh sprang er ab, um in dem Gewirr von Durchgängen, Gässchen und Höfen gleich hinter der Hauptstraße mögliche Verfolger abzuschütteln. Während er sich im Schatten hielt und ständig die Richtung wechselte, schossen seine Gedanken hin und her wie die Abakuskugeln in einem Brotladen.
Wenn Gregorin korrupt war, stand es nicht gut, und Koroljow hatte es im Urin, dass der Oberst durch und durch korrupt war und ihn von Anfang an nur an der Nase herumgeführt hatte. Dennoch klammerte er sich an die Hoffnung, dass so etwas einfach undenkbar war. Undenkbar, dass ein hochrangiger Tschekist hinter all den Morden und dem Diebstahl der Ikone steckte. Aber zu viele Zufälle, zu viele Hinweise deuteten auf das Gegenteil. All seine Instinkte sagten ihm, dass Gregorin ein gemeiner Verräter war, dem es nichts ausmachte, der Partei und seinen Kollegen in den Rücken zu fallen. Koroljow fluchte auf sein schwarzes Herz.
Er betrat einen Hof, in dem fast bis zu den Dächern hinauf Wäsche auf kreuz und quer gespannten Leinen hing, und schlüpfte rasch in den niedrigen Durchgang zu einer Gasse. Wie war er nur in diesen Schlamassel geraten? Als ihm ein alter Mann, der gerade Kohle aus einem Handkarren in einen Schuppen räumte, einen Blick zuwarf, wurde ihm klar, dass er die Frage laut gestellt hatte. Der Mann schaute schnell wieder weg, und Koroljow begriff, dass er wie ein Wahnsinniger wirken musste, wenn er sich mit einem Kopfverband in schmalen Durchgängen herumdrückte und vor sich hin murmelte. Warum ging er nicht einfach nach Hause, bereitete sich sein Abendessen zu und trank wenn nötig so lange, bis er alles vergessen hatte? Aber wenn er das tat, würde sich Gregorin einfach absetzen und in Berlin, Paris oder einem anderen kapitalistischen Gomorrha die Früchte seiner Übeltaten genießen. Und ein Stabsoberst des NKWD war ein guter Fang für einen ausländischen Geheimdienst. Der Judas kannte sicher so einige Staatsgeheimnisse, die er nach Belieben verkaufen konnte. Sogar Stalin hatte dieser Teufel schon bewacht. Sie würden ihn willkommen heißen wie Manna vom Himmel.
Koroljow spähte auf die Uhr. Bis zu dem vereinbarten Treffen mit Jasimow blieben ihm noch ein paar Minuten, und so stahl er sich in eine Einfahrt. Von dort aus konnte er beide Enden der engen Gasse beobachten, in der er gestrandet war. Wenn ihn jemand verfolgt hatte, was keineswegs sicher war, würde er jetzt hin und her hasten, um ihn nach den vielen dunklen Winkeln und Abzweigungen wieder einzuholen. Daher war es das Beste für ihn, sich zu verstecken und etwaige Beschatter vorbeiziehen zu lassen. Außerdem hatte er auf diese Weise Zeit, um sich alles noch einmal zu überlegen.
Natürlich existierte nach wie vor die Möglichkeit, dass Gregorin ehrlich und somit alles in Ordnung war. Doch wenn das nicht der Fall war, stellte sich die Frage, was den Oberst zum Mord und zum Diebstahl von wertvollem Staatseigentum getrieben hatte. Was nützte ihm eine Million Dollar, wenn er
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