Russisches Requiem
Seitenkapelle. Sie wollten unbedingt eingelassen werden, ob Tatort oder nicht - >die Komsomol-Bewegung muss voranschreiten<. Ich habe ihnen eingeschärft, uns nicht in die Quere zu kommen, aber ich dachte, Sie möchten vielleicht mit ihr reden, sie hat nämlich die Leiche gefunden. Was war das andere, Liste von Leuten, Fingerabdrücke?« Er fing an zu schreiben.
Koroljow war angenehm überrascht. »Das reicht fürs Erste. Notieren Sie fleißig, was Ihnen auffällt. Ist etwas notiert, wird es nicht vergessen. Und wenn Sie bei Brusilow fertig sind, schauen Sie auf dem Rückweg noch bei den Forensikern vorbei. Plaudern Sie ein bisschen mit ihnen, immer schön freundlich. Sie legen sich mehr ins Zeug, wenn sie der Ansicht sind, dass auch die Kriminalermittler bei der Sache sind. Also los. Wenn Sie mich brauchen, können Sie mich im Institut anrufen.«
Semjonow schlug die Hacken zusammen wie ein Preuße und salutierte frech. Koroljow tat, als wollte er ihm einen Tritt versetzen, aber der Zweite Leutnant hatte sich schon fünf Schritte entfernt.
»Zu Befehl, Genosse Hauptmann.« Mit einem Lachen verschwand er.
Achselzuckend trat Koroljow auf den Fotografen zu. »Ich hoffe, der junge Schnösel hat Ihnen nicht zugesetzt. Er ist harmlos, einigermaßen wenigstens.«
»Ü-überhaupt nicht, Ge-genosse. Er hat mi-mir eine Zizigarette gedreht, war a-also sogar nützlich.« Grinsend schüttelte Gerginow Koroljow die Hand. »Ma-machen wir uns an die A-arbeit?«
»Ja, gehen Sie schon vor, ich bin gleich bei Ihnen. Erst muss ich noch mit jemandem sprechen.«
Koroljow betrat die Kirche. Aus der Sakristei schnitt ein weißer Strahl durch die Dunkelheit wie ein Suchscheinwerfer, doch aus einer Seitenkapelle links drang weicheres, gelbes Licht. In der Kapelle saß ein Mädchen mit hübschem ovalem Gesicht vor einem Kontenbuch und einem Abakus. Ihr gegenüber arbeiteten zwei hungrig aussehende Halbwüchsige. Einer von ihnen schnitt kleine Papierzettel zurecht, auf die der andere etwas schrieb.
Er empfand die rosigen Wangen und den ernst nach unten gezogenen Mund des Mädchens als seltsam aufmunternd. Sie blickte auf und strich sich eine schwarze Locke aus der Stirn.
Er achtete darauf, sich nichts von seinem warmen Gefühl für diese hübsche Vertreterin der sowjetischen Jugend anmerken zu lassen. »Guten Tag, Genossin. Hauptmann Koroljow von der Moskauer Kriminalmiliz. Ich untersuche den Mord.«
Sie stand auf. Sie war mindestens einen Kopf kleiner als er.
Unwillkürlich beugte er sich nach vorn. »Sie haben die Leiche gefunden, glaube ich?«
»Ja, es war schrecklich. Sie lag auf dem Altar in der Sakristei. Verzeihen Sie, auf dem früheren Altar im Gesellschaftsraum.«
»Gesellschaftsraum?«
»Dort stellen wir das Buffett auf, wenn wir einen Tanz veranstalten. Eigentlich hätte gestern einer stattfinden sollen, aber er wurde abgesagt. Vor dem Tanz haben wir natürlich eine politische Versammlung, aber die Partei will ihrer sozialistischen Jugend nicht nur Gelegenheit zur politischen Erziehung geben, sondern auch zu gesunder Freude. Deswegen sind wir hier. Bis Samstag werden Sie doch draußen sein, oder? Wir möchten nichts von unserem Schwung verlieren. Wir dürfen uns von solchen Dingen nicht zurückwerfen lassen.«
Sie hatte eine leise Stimme und wollte ihm offenbar nicht in die Augen schauen. Er bemerkte die weißen Spitzen ihrer fest auf den Tisch gepressten Finger und fragte sich, ob sie unter Schock stand. Mit zitterndem Zeigefinger deutete sie auf die Zettel, eine Geste, die sie sichtlich Kraft kostete. »Eintrittskarten für den Tanz. In fünf Tagen.« Einer der jungen Burschen blickte ohne jedes Interesse zu ihm auf.
»Können Sie mir sagen, wann genau Sie sie gefunden haben, Genossin?«
»Um neun. Ich schließe das Gebäude jeden Morgen auf. Ich gehöre zum Organisationskomitee. Lydia Kowalewskaja. Ich stehe Ihnen natürlich gern zur Verfügung. Leutnant Semjonow sagt, Sie wollen mir einige Fragen stellen. Als ich ankam, war die Tür offen. Und dann habe ich sie entdeckt. Überall Blut. Hinterlässt Blut Flecken auf Marmor? Kriegen wir es wieder sauber?« Sie rieb mit der Handfläche über den Tisch. Die beiden Halbwüchsigen tauschten ein Grinsen aus.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Genossin?« Koroljow überlegte, ob er sie lieber an einen ruhigeren Ort bringen sollte.
Nach kurzem Zögern nickte sie. »Ja, ich glaube schon. Es tut mir leid. Ich weiß, die Sache sollte mich nicht so mitnehmen. Ich müsste
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